Windkraft versus Vogelschutz – Wie viele Mindestindividuen einer Art sind notwendig, um eine Population zu erhalten?

Es sollte ein großer Durchbruch werden, als der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und Bündnis 90/Die Grünen im vergangenen Dezember ein gemeinsames Positionspapier über Windkraft und Vogelschutz präsentierten. Man wollte einen “Vogelfrieden” schließen und die Interessen der Windkraftindustrie mit dem Artenschutz versöhnen.

Gelingen soll das, in dem man den Tod einzelner geschützter Exemplare zur Rettung des Klimas und zur Begrenzung der Erderwärmung in Windkraftvorranggebieten billigendend in Kauf nimmt, solange sie anderswo in großen Beständen existieren und die Population der jeweiligen Art nicht gefährdet wird.

Doch kann das überhaupt gelingen, was in dem vier Seiten Positionspapier von Grünen und NABU blauäugig propagiert wurde? In der Populationsökologie spielt die Frage, wie viele Individuen einer Art mindestens vorhanden sein müssen, um eine gesunde fortpflanzungsfähige Population zu erhalten eine wichtige Rolle. Eine fundierte Antwort darauf erhält man, wenn man für die jeweilige Tierart über einen langen Zeitraum hinweg aufwendige Studien über ihre kleinste überlebensfähige Populationsgröße (Minimum viable population size, MVP ) durchführt. Die MVP ist eine wichtige Kennzahl für den Artenschutz. Wird sie unterschritten, kommt es zu einem schleichenden, meist unaufhaltbaren Rückgang, bis hin zum endgültigen Aussterben der Art.

Im Rahmen der Untersuchungen werden viele Parameter erfasst: Beispielsweise die natürlichen demographischen Schwankungen und der aktuelle genetische Status der Population. Eine breite genetische Diversität ist für die Anpassung an sich ändernde Umweltbedingungen von größter Bedeutung und sichert das langfristige Überleben von Arten.  Auch zufällig auftretende und die Mortalität beeinflussende Ereignisse – bspw. forstwirtschaftliche Einflüsse, Kollisionen mit Fahrzeugen oder touristische Störungen – gilt es zu prognostizieren.

Zu den limitierenden Faktoren zählen ferner die Qualität und die  räumlich-zeitliche Erreichbarkeit der Habitate, bereits eingetretene oder bevorstehende Fragmentierungen sowie negative Rand- und Verinselungseffekte. Sie alle gelten als Treiber des allgemeinen Artensterbens und bedürfen einer artspezifischem Modellierung, um deren mittel- und langfristigen Folgen auf die künftige Populationsentwicklung abschätzen zu können.

Die Komplexität dieses nur sehr grob umrissenen Studiendesigns ist sicherlich ein Hauptgrund dafür, warum in Europa bisher keine einzige wissenschaftlich Studie über die kleinste überlebensfähige Populationsgröße von Vogelarten existiert. Nach Ansicht des Evolutionsbiologen und Zoologen Josef H. Reichholf wirkt „jeder Verlust in aller Regel als zusätzlicher Verlust, der die Wiedererholung oder die Bestandszunahme verzögert oder zum lokalen/regionalen Aussterben führt.” Das gehört nach Reichholf zum Grundwissen der Populationsökologie.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) bestärkte daher auch am 4. März 2021 in einem wichtigen Urteil den Individuenschutz und erteilte damit den Plänen von NABU und Grünen indirekt eine Abfuhr. Das Urteil lautet kurz und einfach zusammengefasst: Die Nist- und Brutplätze sowie die bekannten Wanderrouten einzelner Individuen bleiben durch EU-Recht weiter streng geschützt. Es ist rechtlich unzulässig, die Tötung einzelner Tiere zu gestatten, auch wenn dadurch ihre Population nicht gefährdet wird. Jedes Individuum zählt für den Erhalt der Gesamtpopulation.

 

4 Gedanken zu „Windkraft versus Vogelschutz – Wie viele Mindestindividuen einer Art sind notwendig, um eine Population zu erhalten?“

  1. Abgesehen von der Tatsache, daß der real nutzbare, in das Gesamtaufkommen eingebrachte Anteil der Windenergie (mit ihren großen Ausfallzeiten) am Gesamtleistungsbedarf unseres Landes nur 1% beträgt, ist das Ganze nur als Witz zu bezeichnen, was hier seit Jahren von politischen Interessengruppen in den höchsten Tönen angepriesen wird. Bei den WKA handelt es sich in allererster Linie um ein Geschäftsmodell von Investoren, “Energiebauern” und pleitegegangenen Gemeindeverwaltungen, die unter dem irreführenden Stichwort “Umweltschutz” ihre Ziele verfolgen.

  2. Die “besseren Lösungen” gibt es schon lange, liebe Christine! Sie bestehen in der sofortigen Stilllegung und Demontage aller Windenergieanlagen und dem Verbot, neue zu bauen. Ihr Ausfall würde energiewirtschaftlich keinerlei Schaden verursachen, da für jedes Kilowatt Windenergieleistung ohnehin rund ein Kilowatt Reserveleistung in konventionellen Kraftwerken vorhanden ist und auch künftig sein muss – es sei denn, wir riskieren Blackouts!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert