In seinem neuen Buch räumt der kanadische Autor Vaclav Smil mit der Vorstellung auf, man könne die Welt innerhalb von Jahrzehnten dekarbonisieren. Den Klimawandel stellt er nicht in Frage.
Von Georg Etscheit
Gerade ist wieder einmal eine Klimakonferenz zu Ende gegangen. Sie fand in Dubai statt und war die 28. Zusammenkunft von Delegierten der sogenannten Vertragsstaaten (COP), also jener Länder, die die 1994 in Kraft getretene Klimarahmenkonvention ratifiziert haben. Diesmal waren mehr als 90 000 Teilnehmer aus aller Welt registriert. Nur die wenigsten, mit Ausnahme der Gastgeber, dürften klimafreundlich zu Fuß oder per Fahrrad angereist sein, sondern mit dem Flugzeug. Jedes Jahr kommen mehr – 2015 waren es in Paris „erst“ 50 000 Delegierte.
Irgendetwas erreicht im Sinne des erhofften Klimaschutzes haben diese Mammuttreffen nicht. Denn zwischen 1992, dem Jahr der ersten von der UNO veranstalteten Konferenz zum Klimawandel und 2019 sind die globalen CO2-Emissionen nicht zurückgegangen, im Gegenteil. Sie stiegen um rund 65 Prozent, der Ausstoß von Methan, das um Größenordnungen „klimaschädlicher“ ist als Kohlendioxid, im gleichen Zeitraum um 25 Prozent.
Noch eine Zahl: Zwischen 1995 und 2019 hat sich allein die Kohleförderung in China mehr als verdreifacht mit dem Ergebnis, dass das mit 1,41 Milliarden Menschen knapp nach Indien bevölkerungsreichste Land der Erde heute fast so viel Kohle fördert und verbrennt wie der Rest der Welt zusammen. Und fast ein ganzer Kontinent, Afrika, hat sich noch nicht einmal richtig auf den Weg gemacht in die Energie intensive Moderne.
„Offenbar reisen die Delegierten gerne an attraktive Orte und verschwenden kaum einen Gedanken an den gefürchteten Kohlenstoff-Abdruck, den dieser globale Tagungstourismus verursacht“, schreibt Vaclav Smil mit unverkennbarer Ironie in seinem jüngst im Münchner C.H.Beck-Verlag in deutscher Sprache erschienenen Buch „Wie die Welt wirklich funktioniert – Die fossilen Grundlagen unserer Zivilisation und die Zukunft der Menschheit“.
Smil ist Professor-Emeritus für Umweltwissenschaften an der kanadischen Universität von Manitoba und Autor populärwissenschaftlicher Bücher über Energie- und Umweltfragen. Zudem laut Buchcover „Lieblingswissenschaftler“ des Welt-Impf-Apostels Bill Gates, was erklären könnte, warum er immer wieder auf die COVID-Pandemie zu sprechen kommt, die er als Paradebeispiel für schlechtes Management globaler Krisen anführt. COVID habe sich weltweit als eine „ausgezeichnete und kostspielige Mahnung“ bewährt, „dass unsere Fähigkeit, unsere Zukunft zu planen, ihre Grenzen hat und daran wird sich und kann sich während der Lebenszeit der nächsten Generationen nichts Dramatisches ändern“.
Auf den ersten Blick ein Gemeinplatz, der jedoch die Kernthese seines Buches unterstreicht, dass nämlich auch die „Klimarettung“, jedenfalls so, wie sie derzeit betrieben wird, ein mehr oder weniger aussichtsloses Unterfangen ist. Wenn es bei COVID schon nicht gelungen sei, in ausreichender Zahl Gummihandschuhe für Ärzte und Pflegepersonal zu beschaffen, wie solle man dann eine Welt, die seit mehr als hundert Jahren im Innersten von gewaltigen Mengen fossiler Energieträger zusammengehalten wird, in wenigen Jahrzehnten oder sogar nur wenigen Jahren von dieser Droge entwöhnen? Wie soll man realistischerweise den Energieverbrauch pro Kopf der Bevölkerung bis 2050 halbieren, um das ominöse 1,5 Grad-Ziel zu erreichen, wenn er in den vergangenen drei Jahrzehnten um satte zwanzig Prozent gewachsen ist?
Einer Droge im Übrigen, mit deren Hilfe es in Form der Energie aufwändigen Ammoniaksynthese zur Herstellung künstlichen Düngers gelungen ist, den Anteil unterernährter Menschen von rund 65 Prozent im Jahre 1950 auf nur noch 8,9 Prozent zu senken. Und dies bei einem Anstieg der Weltbevölkerung im gleichen Zeitraum von 2,5 Milliarden auf aktuell rund acht Milliarden Menschen. Würde man sich, so Smil, ganz einer ökologischen Lebensweise ohne Kunstdünger, chemischem Pflanzenschutz und fossil betriebene Landmaschinen hingeben, könnte man nicht einmal die Hälfte der heutigen Weltbevölkerung ernähren.
Doch wer sollte bei der Rettung des Planeten über die Klinge springen? Vielleicht will man ja, um die Welt vor dem Hitze-Amargeddon zu retten, dem großen Steuermann Mao Zedong nacheifern, der angesichts der von ihm maßgeblich mit verursachten größten Hungerkatastrophe aller Zeiten Ende der 50er Jahre gesagt hatte: Wenn es nicht genug zu essen gibt, verhungern die Menschen. “Es ist besser, die Hälfte der Menschen sterben zu lassen, damit die andere Hälfte genug zu essen hat.“
Ein unvorstellbarer Zynismus, den man auch heutigen Klimarettern unterstellen könnte, die auf dem Weg ins dekarbonisierte Paradies ökonomische Verwerfungen größten Ausmaßes in Kauf zu nehmen bereit sind und, wie die taz-Redakteurin Ulrike Herrmann, allen Ernstes als Vorbild einer „klimaneutralen Wirtschaft“ die sofortige Etablierung einer „Kriegswirtschaft“ fordern.
Wie groß unser aller Abhängigkeit von Kohle, Öl, Erdgas ist, verdeutlicht die Tatsache, dass dem durchschnittlichen Erdbewohner heute rund 700 Mal soviel nutzbare Energie zur Verfügung steht, wie seinen Vorfahren zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Und Energie bedeutet nicht nur Elektrizität – sie steckt in allem, was das moderne Leben ausmacht, vor allem in Dünger, Stahl, Kunststoff und Zement, den laut Smil “vier Säulen der modernen Zivilisation“. Im Jahre 2019 lag der weltweite Verbrauch von Zement bei unvorstellbaren 4,5 Milliarden Tonnen, der von Stahl bei 1,8 Milliarden Tonnen, der von Kunststoff bei 370 Millionen und der von Ammoniak (zur Düngerherstellung) bei 150 Millionen Tonnen. Keiner dieser vier Sektoren, so Smil, „ließe sich von heute auf morgen durch andere Materialien ersetzen, jedenfalls nicht in globaler Größenordnung“.
Und wenn heute vor allem die deutschen Energiewender unentwegt Rekorde bei der Erzeugung „grünen Stroms“ verkünden, vernachlässigen sie fast vollständig die Frage, wie die genannten stofflichen Säulen, zu denen in einer digitalisierten Welt auch das Energie intensive Silizium gehört, klimaneutralisiert werden sollen. Die erste mit Milliardensummen aus Steuergeldern geförderte Anlage für mit Hilfe von Wasserstoff produziertem „CO2 armen Stahl“ des Unternehmens Thyssenkrupp, ein Lieblingsprojekt des neuerdings auch von „grünem“ Wasserstoff besoffenen Voodoo-Wirtschaftsministers Robert Habeck soll eine Kapazität von 2,5 Millionen Tonnen haben, ein Tropfen auf den heißen Stein, wobei es den dafür benötigten Öko-Wasserstoff noch gar nicht gibt und in den benötigten Größenordnungen wohl niemals geben wird.
Selbst in Deutschland, dem Musterland der Energiewende, rechnet Smil vor, kommt nach zwei Jahrzehnten Grünstrom-Hype erst knapp die Hälfte des elektrischen Stroms aus sogenannten erneuerbaren Quellen. Der Anteil fossiler Brennstoffe am Primärenergieaufkommen Deutschlands sank lediglich minimal – von 84 auf 78 Prozent. „Wenn das Land so weitermacht wie in den letzten zwanzig Jahren“, schreibt Smil, „wird seine Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen 2040 noch immer bei knapp 70 Prozent liegen“.
Im globalen Maßstab sieht es noch dürftiger aus: Auch wenn weltweit die Kapazität der Erneuerbaren, in den ersten 20 Jahren des 21. Jahrhunderts laut Smil um den Faktor 50 zugenommen hat, ging die globale Abhängigkeit von fossilem Kohlenstoff, kaum messbar, nur von 87 auf 85 Prozent zurück, wobei die gute alte Wasserkraft immer noch den Löwenanteil der „grünen“ Energien ausmacht. Die Auswirkungen auf „das Klima“, so sei ergänzt, sind schlechterdings zu vernachlässigen.
Smil ist kein „Klimaleugner“. Ein maßgeblicher Anteil des Menschen am Klimawandel ist für ihn gesetzt und die Erderwärmung stellt für ihn eine der größten, wenn nicht die größte Herausforderung unserer Zeit dar, wobei sich der Autor irgendwo in der Mitte zwischen zwei, wie er es formuliert, Denkschulen verortet: „einem neuen, fast apokalyptisch auftretenden Katastrophismus auf der einen und einer Art Trotzreaktion auf der anderen Seite, die bestreitet, dass es eine Erderwärmung gibt“. Wobei es freilich auch jene Kritiker gibt, die keineswegs bestreuten, dass es eine Erderwärmung gibt, sondern nur das Dogma des zu hundert Prozent Menschen gemachten und somit durch menschliches Handeln grundsätzlich revidierbaren Klimawandels.
Trotzdem wirft Smils Buch, eine Mischung aus lehrreichem Kompendium und politischer Streitschrift, einen erfrischend unkonventionellen und pragmatischen Blick auf die Herausforderungen, die der von den COP-Staaten zumindest auf dem Papier angestrebte Schnellausstieg aus der fossilen Energienutzung bedeutet. Smil verwirft dabei sowohl ein von Ökophantasten im Schwedenpulli gewünschtes Zurück in die ach so grüne Vergangenheit als auch die Hoffnung auf grundstürzende technische Neuerungen einschließlich des sogenannten Geoengineering. Die Zukunft sei eine „Reprise der Vergangenheit“ – eine Mischung aus bewundernswerten Fortschritten und (un)vermeidbaren Rückschlägen“. Und all die „energierevolutionären Narrative“, wie sie auch von der deutschen Ampel gepredigt werden, sind für Smil nichts weiter als eine „akademische Spielart von Science Fiction“.
Dementsprechend sei die Ablösung von den fossilen Grundlagen der modernen Zivilisation und der Übergang zu einer ökologisch verantwortbaren Zukunft nur als allmählicher Prozess denkbar mit den hinlänglich bekannten Bausteinen: stärkere Nutzung von Atomkraft, Ersatz von Kohle zunächst durch Erdgas, Reduzierung des Fleischkonsums, eine effizientere Bewirtschaftung von Wasser- und Nahrungsquellen, Reduzierung von Lebensmittelverschwendung, Nutzung erneuerbarer Energien. Eine erhebliche Verringerung der CO2-Emissionen sei möglich durch „ein Zusammenwirken kontinuierlicher Zugewinne an Effizienz, besser konzipierten Systemen und einem gemäßigtem Konsumverhalten“. Wobei heute niemand wissen könnte, wie weit man auf diesem Weg bis zur Jahrhundertmitte vorankommen. Schon gar nicht die Klimamodelleure, deren Prognosen Smil größte Skepsis entgegenbringt.
Manche Passagen des Buches wirken etwas redundant, wie ein zweiter oder dritter Aufguss älterer Veröffentlichungen, doch insgesamt versteht es der Autor sehr gut, auch komplizierte technische und ökonomische Zusammenhänge anschaulich und zuweilen humorvoll darzustellen. „Die Zukunft ist nicht (und war nie) vorbestimmt, schließt das Buch. „Was sie bringen wird, hängt von unserem Handeln ab.“ Tut sie das wirklich? Manchmal dämmert einem, dass die Welt heute besser aussehen würde, wenn nicht unentwegt und oft falsch gehandelt würde und der Klimazirkus nie existiert hätte.
Vaclav Smil, Wie die Welt wirklich funktioniert. Die fossilen Grundlagen unserer Zivilisation und die Zukunft der Menschheit. C.H Beck (München) 2023. 391 Seiten, keine Abbildungen. Hardcover 28.- Euro
Dieser Beitrag von Georg Etscheit erschien zuerst auf Tichys Einblick.
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Beim Lesen dieses Artikels über die Energiewende musste ich an die Rolle der Vaws-Prüfung denken. Diese Prüfungen sind entscheidend, um sicherzustellen, dass Unternehmen umweltgerecht agieren, insbesondere wenn es um den Umgang mit wassergefährdenden Stoffen geht.
Sie tragen dazu bei, das Risiko von Umweltschäden zu minimieren und fördern gleichzeitig die Verantwortlichkeit in der Industrie. Gibt es vielleicht Wege, wie wir das Bewusstsein für die Bedeutung solcher Prüfungen im Kontext der Energiewende noch stärken können?