Enoch zu Guttenberg, 29. Juli 1946 bis 15. Juni 2018
„Das Weihrauchfass bleibt im Schrank.“ So antwortete mir Enoch zu Guttenberg in einem seiner berühmten, handgeschriebenen Briefe, als ich ihm vor knapp zwei Jahren meinen Wunsch antrug, sein Biograf zu werden. Natürlich war sich Guttenberg seiner Bedeutung sehr wohl bewusst, aber er wollte nicht angehimmelt, vergöttert oder verklärt werden. Er wollte eine kritische Biografie, die auch seine (ja, die gab es!) weniger strahlenden Seiten behandelt, keine Hagiografie. Wobei die Probe aufs Exempel nun, nach seinem plötzlichen Tod, nicht mehr stattfinden kann. Denn Enoch zu Guttenberg konnte auch bestimmend sein, kompromisslos und verletzend, selbst zu Verwandten und Freunden, wenn es ihm um etwas ging, das ihm wichtig war. Da zeigte sich dann, in aller Klarheit, der von keinem, außer von Gott (an den glaubte er nicht mehr) oder vom Kaiser (den gibt es nicht mehr) abhängige Freiherr aus uraltem fränkischen Adelsgeschlecht.
Das Weihrauchfass bleibt also im Schrank, auch in diesem Nachruf auf einen großen Musiker, einen kämpferischen Naturschützer, erfolgreichen Unternehmer und Chef eines begüterten Adelsgeschlechts, dazu zweifach geschiedenen Ehemanns mit vier Kindern, von denen eines drauf und dran war, zum Bundeskanzler zu avancieren, wenn es sich nicht durch eine selbst verschuldete Plagiatsaffäre ins Abseits manövriert hätte. Enoch zu Guttenberg war auch ein vorzüglicher Dressurreiter, ein wilder Kutschfahrer und Jäger, er war ein hoch talentierter Schriftsteller und begnadeter Redner, er war ein – nicht nur absolut bibelfester – Gelehrter und er war einfach ein toller Kumpel.
Nein, um ihn zu würdigen, genügt es, all diese Eigenschaften kommentarlos aneinanderzureihen, die für drei Leben locker ausgereicht hätten. Ihm war nur eines vergönnt, und noch nicht einmal ein besonders langes. Guttenberg starb mit 71 Jahren, auf dem Zenit seiner erstaunlichen, gegen ungeheure Widerstände ertrotzten Karriere als Dirigent und frisch verliebt in die gerade einmal 40 Jahre alte Sängerin Susanne Bernhard, um die er Jahre lang geworben hatte und mit der ihn, wie er mir kurz vor seinem Tod bekannte, die erste, erfüllte Liebesbeziehung seines Lebens verband.
Über den Dirigenten Enoch zu Guttenberg ist in den zahlreichen Nachrufen, die in den letzten Tagen erschienen sind, Vieles und Richtiges geschrieben worden. Etwas kurz kam dabei seine Rolle als Naturschützer und Galionsfigur der Energiewendekritiker und Windkraftgegner. Guttenberg war niemals das, was man einen Klimaskeptiker nennt, im Gegenteil. Und er war auch in seinen späten Jahren nicht zum Atomkraft-Lobbyist mutiert, wie ihm gerne und wohlfeil vorgeworfen wurde. Aber er war fest davon überzeugt, dass die Maßnahmen zur Begrenzung der Klimaerwärmung, vor allem der forcierte Ausbau sogenannter Erneuerbarer Energien weit mehr Schaden als Nutzen anrichten und den Klimaschutz, wenn überhaupt, nur Millimeter weise voranbringen. Für ihn lag die Lösung der immer drängenderen Umweltprobleme dieses Planeten einzig und allein in einer Rückkehr zu einer maßvollen Lebensweise, die die Grenzen des Wachstums zu berücksichtigen hat. Nicht in einem technozistischen, Kapital und Ideologie getriebenen Voluntarismus.
Vor allem wegen dieses Themas überwarf er sich mit seinen einstigen Mitstreitern vom Bund Naturschutz in Bayern (BN) und vom Bund für Umwelt- und Naturschutz in Deutschland (BUND), jener bundesweiten Organisation, die er in den ökobewegten 70er Jahren mit gegründet hatte. Dass die großen Umweltverbänden, deren Funktionäre längst an den Tischen der Mächtigen Platz genommen haben und ihre Pfründe verteidigen zu müssen glauben, sich mittlerweile fast ausschließlich einem beinahe hysterischen Klimaschutz und der populären Energiewende verschrieben haben und traditionelle Anliegen wie der Artenschutz oder die Bewahrung der bayerischen/deutschen Kulturlandschaften nur noch Fußnoten vorgeblicher Klimarettung sind, ließ die einstigen Kampfgefährten zu erbitterten Gegnern werden.
Guttenbergs frühe Hinwendung zum Natur- und Umweltschutz hat einerseits mit seiner ländlichen Herkunft zu tun. Der junge Freiherr wuchs in einer noch weitgehend intakten Umwelt auf, mit Hunden und Pferden und unerschöpflich erscheinenden Jagdgründen inmitten der weitläufigen Besitzungen seiner Familie. Dazu gehörte damals noch das pfälzische Weingut Reichsrat von Buhl. Dort musste er, wie er oft erzählte, in den sechziger Jahren mit ansehen, wie die treuen Arbeitspferde eines nach dem anderen vom Hof geholt und zum Schlachter geführt wurden, um Traktoren Platz zu machen. Das, was man den Fortschritt nennt, begann nach und nach das schöne Land und seine nicht-menschlichen Bewohner aufzufressen. Gegen diesen erst schleichenden, dann galoppierenden Verlust begann sich der sensible, künstlerisch begabte Adelige, der nicht in Jahren oder Jahrzehnten, sondern in Jahrhunderten zu denken gelernt hatte, zu wehren.
Doch den entscheidenden Anstoß, sich aufs Schlachtfeld der sich formierenden Umweltpolitik zu werfen, erhielt Guttenberg von seinem musikalischen Lehrer und väterlichen Freund, dem knorrigen Komponisten und früheren Nazi-Widerständler Karl von Feilitzsch, der 1969 mit der „Grünen Aktion“ eine der ersten Bürgerinitiativen auf dem Gebiet des Natur- und Umweltschutzes überhaupt gründete. Hauptanliegen der „Grünen Aktion“ war es, die immer raschere Zersiedelung, Betonierung und Technisierung der oberbayerischen Kulturlandschaft zu verhindern. Feilitzsch und seine Mitstreiter, darunter der aufmüpfige CSU-Abgeordnete Franz Gleissner, kämpften jahrelang und schließlich erfolgreich gegen den Bau eines neuen Münchner Großflughafens im Hofoldinger Forst, der das gesamte Alpenvorland in Mitleidenschaft gezogen hätte. Immer dabei auch der junge Enoch, Plakate klebend, Pamphlete formulierend, Strategien entwickelnd. Einmal sollen die unermüdlichen Aktivisten von der „Grünen Aktion“ sogar eine Bombenattrappe im Garten eines Gegners deponiert haben.
Als der Unternehmersohn und Forstwirt Hubert Weinzierl, bald einer von Guttenbergs engsten Freunden, an die Spitze des BN gelangte, ging man gemeinsam daran, den behäbigen, eng mit dem erzkonservativen Establishment verbandelten Verein zu einer Kampagne fähigen, parteipolitisch unabhängigen Umweltschutzorganisation in Bayern umzubauen. Dabei legte sich Guttenberg vor allem mit der katholischen Kirche an, der er Untätigkeit vorwarf, wenn es um die „Bewahrung der Schöpfung“ etwa vor den Gefahren des Atomzeitalters ging. Legendär war ein Zusammentreffen mit dem damaligen Münchner Erzbischof Josef Ratzinger, der die BN-Delegation kühl beschied, der Kirche stecke noch immer der Fall Galilei in den Knochen, weswegen man sich mit solchen aktuell politischen Fragen leider momentan nicht befassen könne.
Guttenbergs Entfremdung von BN und BUND begann mit der Machtübernahme des Ökofunktionärs Hubert Weiger, der den schöngeistigen Weinzierl als BN-Vorsitzenden ablöste und seinen Vorgänger in einer regelrechten Schlammschlacht kalt stellte. Es kam zum Bruch, als Weiger den BN zu einer Lobbyorganisation der Erneuerbaren-Energien-Branche und Vorfeldorganisation einer grünen Partei umformte, die sich längst von der unpopulären Wachstumskritik gelöst und damit ihre einstigen Ideale verraten hatte. Guttenberg trat 2012 unter Protest und mit großem Medienecho aus BN und BUND aus. Dass Weiger, der Guttenberg noch vor zwei Jahren per Gerichtsentscheid einen Maulkorb verpassen wollte (und schmählich scheiterte), nun in einem Kommentar zu dessen Tod als „profilierten und engagierten Natur- und Umweltschützer“ würdigt, der sich „Jahrzehnte lang für den Atomausstieg und die Erhaltung der Schönheit der Landschaft eingesetzt habe“, darf mit Fug als Gipfel der Heuchelei und Verlogenheit gewertet werden. Si tacuisses!
Als sich abzeichnete, dass sich nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima und dem von Bundeskanzlerin Angela Merkel handstreichartig verordneten, planlosen Atomausstieg die nunmehr stark forcierte „Energiewende“ zum Desaster für Deutschlands Kulturlandschaften und den Artenschutz entwickeln würde, brachte Guttenberg zusammen mit Gleichgesinnten den neuen, an traditionellen Werten des Natur- und Landschaftsschutzes orientierten „Verein für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern” (VLAB) auf den Weg, der 2015 als bayernweit tätige Umweltorganisation staatlich anerkannt wurde. Im selben Jahr ernannte der VLAB Guttenberg, zusammen mit Hubert Weinzierl, zum Ehrenpräsidenten.
Im Dienste seiner neuen Mission zog Guttenberg, ungeachtet seiner familiären und künstlerischen Verpflichtungen, unermüdlich durchs Land, um in flammenden Reden die unbeschreiblichen Auswüchse der Energiewende, insbesondere die flächendeckende Devastierung der deutschen Rest-Landschaften mit Zehntausenden von Windrädern anzuprangern. Wie in seinen Anfangszeiten als Umweltschützer schwamm er gegen den Strom, gab wenig auf Applaus von den billigen Plätzen. Dabei nahm er in Kauf, dass man ihm vorwarf, er wolle ja nur seine eigenen oberfränkischen Latifundien aus „rein ästhetischen Gründen“ von den Windmonstern freihalten.
Guttenberg übernahm von Feilitzsch nicht nur eine kämpferische, fast militante politische Herangehensweise, sondern auch dessen apokalyptische, an Oswald Spenglers 1922 erschienenem Buch „Der Untergang des Abendlandes“ orientierte Weltsicht. Feilitzsch hatte Spenglers umstrittene Geschichtslehre sozusagen um die ökologische Dimension erweitert und war fest davon überzeugt, dass nach dem Zusammenbruch des Sozialismus der Kapitalismus eine letzte Blüte erleben werde, ehe er an seinen ökologischen Folgen zugrunde gehe und mit ihm die ganze „zivilisierte“ Menschheit. Auch Enoch zu Guttenberg verlor mehr und mehr den Glauben an einen Ausweg aus den vielfältigen ökologischen und gesellschaftlichen Krisen und suchte vor allem in seiner Musik einen vielleicht letzten Hafen. Sicher ein Grund dafür, dass sein immer auf Hochtouren laufender Lebensmotor ins Stottern geriet – und schließlich versagte.
Enoch zu Guttenberg war eine Jahrhundertgestalt. Er hinterlässt eine Lücke, die nicht zu schließen ist.
Georg Etscheit, München im Juni 2018
Georg Etscheit hat sehr Recht, Enoch zu Guttenberg als Jahrhundertgestalt zu würdigen.
Wer die Ehre hatte, mit ihm in persönlichem Kontakt zu stehen, weiß um die Strahlkraft, die von ihm ausging, und wovon Georg Etscheit schreibt.
Für die menschliche Entwicklung und Kultur gibt es Speerspitzenindividuen, die uns alle voranbringen. Zu diesen ist Enoch zu Guttenberg zu zählen.
Er verkörperte mit Seele und Geist einen umfassend gebildeten und vorbildlich engagierten Menschen.
Mit seinem Wirken hat er Zeugnis abgelegt, dass der – auch persönliche – menschliche Kosmos nur in jener Ganzheit heil bleiben kann, die das Äußere und Innere gleichberechtigt zusammenhält: Das Schöne (die Ästhetik, seine Musik), das Wahre (die Fakten) und das Gute (die Ethik) bilden jene Säulen, auf denen ruhen und gedeihen kann, was wahrlich menschlich ist. Im Mangel an jener Ganzheitlichkeit entstehen die Defizite, an denen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen sich festmacht.
Enoch zu Guttenberg hat hinterlegt, dass die aus dem Inneren gespeiste Emotion und das äußerliche Verwahren scharfer Fakten sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern sich eben zu jenem tief ergründeten und begründeten Weltbild ergänzen, das einen bedingungslosen Einsatz und ein klares Bekenntnis zur Folge hat, ja haben muss.
Dieses schlug sich genauso in den kongenialen und erschütternden Interpretationen etwa der Werke von Mozart, Verdi oder Bruckner und ganz besonders der großen Sakralwerke Bachs durch ihn und seine ihn begleitenden Künstler nieder wie in seinem rastlosen Kämpfen in unserem gemeinsamen Leidensthema, der Verwüstung unseres Landes durch die Windkraftindustrie.
In einem seiner letzten Briefe sprach Enoch zu Guttenberg mir gegenüber noch die Hoffnung und den Wunsch aus, dass die Beteiligten auf unserer Seite und in unseren Reihen sich besser zusammenfinden, um Wege zu finden, viel mehr Menschen mit unserer Botschaft zu den Verheerungen durch die sogenannte Energiewende zu erreichen. Er wusste aber auch, dass wir unter den derzeitigen Bedingungen einen schier aussichtlosen Kampf führen um die letzten Reste intakter Kultur- und Naturlandschaften in unserem Heimatland. So musste er auch, – wie wir alle – , einer aufkeimenden Resignation standhalten.
Dass die Bewahrung von Natur eine umfassend kulturelle Herausforderung und die finale Aufgabe einer sich (hoffentlich) weiter entwickelnden Menschheit ist, dafür Stand das Wirken und die wortgewaltige Sprache des Freiherrn ganz besonders. Glaubwürdigkeit entscheidet sich für den Naturschutz an der Abkehr von Vorteilsstreben. Seine persönliche Glaubwürdigkeit hat Enoch zu Guttenberg gerade dort hinterlegt, wo er sich von jenen distanzierte, die einmal seine Weggefährten waren, und die Sache der Natur unter der Vorteilnahme des Mainstream-Beifalls verraten haben.
Deshalb gereichte es ihm selbst dann zur Ehre, wenn sich Anfeindungen durch „GRÜNE“ oder BUND-Häuptlinge sogar auf die Herrenchiemsee-Festspiele ausdehnten. Allzu durchsichtig doch der Versuch, ihm mangels Argumenten anderweitig zu schaden.
Einem Zeitgeist, der in gefährlicher Diffusion Gefühle mit Postfaktizität gleichsetzt, der Heimatliebe billig in den rechten Sumpf drängen will, der den Verheißungen der schönen neuen Energien-Welt durch grenzenlos wachsende Ansprüche gegen eine angeblich Dienstleisten müssende Natur gerade auch im Rahmen der „Energiewende“ erliegt und dies noch mit dem Rumpelstilzchenbegriff „Nachhaltigkeit“ verbrämt, einem solchen Zeitgeist hat Enoch zu Guttenberg mit seinem Lebensauftritt ein eindrückliches und bleibendes Fanal entgegengesetzt.
Sein Wirken wird im besten Sinne dem Verantwortungsprinzip eines Hans Jonas und der Diskursethik eines Jürgen Habermas gerecht. Er war diskursfähig. Er hatte es nicht nötig, Andersdenkende mit hundertseitigen Klagschriften zu überziehen. Das klare Wort war seines. Dass er im Beackern unseres Leidensthemas aneckte gerade dort, wo im pseudo-ökologischen politischen wie medialen Mainstream Verantwortung als Leerformel missbraucht und fairer Diskurs hartnäckig verweigert wird, sollten wir als ein Hoffnungszeichen werten: Gute Argumente treffen. Nicht das Rechthaben allein im Bereich der Sachargumente – auch in Reihen der Windkraftkritik weit verbreitet – nicht dieses Gekräusel an der Oberfläche war und ist das Hauptanliegen. Enoch zu Guttenbergs Argumente griffen auf die Tiefe von Bedeutung und Zusammenhang zurück, auf die umfassende Angelegenheit menschlicher und damit politischer Kultur.
Der verlogene Gedenk-Gruß des Hubert Weiger an den Verstorbenen auf Seiten des BUND hingegen muss jeden Menschen, der die Hintergründe des Geschäfts rund um die „Erneuerbaren Energien“ kennt, mit Scham erfüllen. Weiger hat Enoch zu Guttenberg zu Lebzeiten nicht erreicht. Über den Tod hinaus bleibt der Naturschutz- und Kultur-Titan für Mainstream-Erfüllungsgehilfen und Energiewende-Gewinnler unerreichbar. Auch für dieses Mut machende Zeichen bin ich ihm dankbar. Tragen wir seine Fackel weiter. Dies sind wir ihm schuldig, dies ist sein Vermächtnis.
Wolfgang Epple Außernzell, im Juni 2018
Vielen Dank für Ihren sehr treffenden Nachruf!
NaBu, BUND und wie sie alle heißen sind allesamt zahnlose Tiger, die für unsere Natur so gut wie nichts bringen. Ein paar mehr Fledermauskästen hier und dort ändern nichts an der riesigen Misere, in der sich unsere Natur befindet. Egal, ob WKA oder Spritzmittelproblematik…., die großen Naturschutzverbände sind allesamt “Angsthasen” und dienen dem Mammon!
Solche gesund streitbaren Gemüter wie Herr Enoch v. Guttenberg fehlen hier immer mehr!!! WARUM eigentlich…? …. Jetzt müßte ich einen Exkurs starten in die Psychologie des Menschen und auch Ziele in der Weltpolitik, um das aufzudröseln….und das würde den Rahmen meines Kommentars bei weitem sprengen.
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R.I.P. Enoch zu Guttenberg