Die Ziele der Weltnaturschutzkonferenz und der EU-Biodiversitätsstrategie 2030 stehen im Konflikt mit den Klimaschutzzielen zum Ausbau der Erneuerbaren Energien.
In der Landesregierung Baden-Württemberg herrscht über die Lösungsstrategien offensichtlich große Unsicherheit, wie in der Stuttgarter Zeitung Anfang des Jahres zu lesen war.
Auszüge:
Stgt. Zeitung: Artikel: "Land muss beim Artenschutz zulegen" Abendausgabe Dienstag, 03.01.2023 (Bio Diversität) Land muss beim Artenschutz zulegen. Die Ziele der Weltnaturschutzkonferenz hat auch Baden-Württemberg noch längst nicht erreicht. Bei den Flächen sieht es schon ganz gut aus. Stuttgart. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sprach von einem großen Durchbruch, als kurz vor Weihnachten 200 Staaten auf der Weltnaturschutzkonferenz in Montreal ihre Abschlusserklärung veröffentlichten – danach sollen 30 Prozent der Landfläche bis 2030 unter Schutz gestellt sein … Bettina Jehne, die Sprecherin des Umweltministeriums in Stuttgart, dämpft jedenfalls selber die Erwartungen. Es sei nämlich noch gar nicht sicher, welche Schutzgebietskategorien unter das 30-Prozent-Ziel fallen: „Dies wird in den kommenden Jahren zu klären sein.“ Relativ eindeutig dürfte das für den Nationalpark im Schwarzwald sein, der allerdings nur 0,28 Prozent der Fläche des Südwestens ausmacht. Die Naturschutzgebiete summieren sich auf 2,5 Prozent. Die beiden Biosphärengebiete im Südschwarzwald und auf der Alb umfassen zusammen schon 4,2 Prozent der Fläche. Dagegen kommen etwa die Vogelschutzgebiete auf elf Prozent und die Landschaftsschutzgebiete auf starke 22 Prozent. Zählten Letztere dazu, wäre das Ziel bereits übererfüllt. Allerdings: Steffi Lemke hat dem schon eine Absage erteilt, weil es kaum Einschränkungen in Landschaftsschutzgebieten gibt. Auch in den Biosphärengebieten sind lediglich drei Prozent ganz aus der Nutzung genommen, in weiten Teilen existieren gar keine Beschränkungen. “Es komme jetzt vielmehr darauf an, dass es „ordentlich umgesetzt“ werde – da gebe es in Baden-Württemberg Nachholbedarf. Denn viele Schutzgebiete seien gar nicht besonders effektiv, weil etwa Managementpläne nicht erfüllt würden. Vor allem aber besteht die Abschlusserklärung in Montreal nicht nur aus diesem einen 30-Prozent-Ziel, sondern aus insgesamt 23 Zielen. Dazu gehört, dass weitere 30 Prozent der Fläche in eine intakte Natur zurückverwandelt werden sollen. Dafür gibt es im Südwesten noch nicht einmal Pläne.
Das Europäische Parlament und der Rat hat ein umfangreiches Papier zur Umsetzung der Biodiversitätsstrategie im Rahmen des „Green Deal“ vorgelegt.
Der Schwerpunkt sollte auf naturbasierte Maßnahmen gelegt werden, die Synergien für Klimaschutz- und Biodiversitätsziele aufweisen. Dies ist erreichbar, wenn der Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates der EU über die Wiederherstellung der Natur konsequent umgesetzt wird.
Für Baden-Württemberg würde dies bedeuten:
Erstellung regionaler und kommunaler Wiederherstellungspläne von Ökosystemen in Verbindung mit der Fortschreibung der Landschaftspläne auf den jeweiligen Maßstabsebenen als Konkretisierung der nach EU-Vorschlag zu erstellenden nationalen Wiederherstellungspläne, mit folgenden Maßnahmen:
- Erhöhung des Schutzstatus von Natura-2000-Gebieten, Biosphärengebieten, Landschaftsschutzgebieten, Naturparken und naturnahen Waldlandschaften mit Verzicht auf bauliche und infrastrukturelle Eingriffe,
- Erhaltung und Weiterentwicklung der vorhandenen Waldökosysteme, naturnahe Waldbewirtschaftung, z.T. mit Nutzungsaufgabe auf Teilflächen,
- Wiedervernässung entwässerter Moore und Feuchtgebiete,
- Wiederherstellung von naturnahen Gewässer-, Auen- und Grünlandbiotopen,
- Stärkere Begrünung der Siedlungsbereiche,
- Nutzung erneuerbarer Energien vorwiegend auf künstlichen und bebauten Flächen wie Dächern, Verkehrsinfrastrukturflächen, Parkplätzen, Abfalldeponien, Industriestandorten, künstlichen Binnengewässern sowie degradierten Flächen, die nicht für die Landwirtschaft genutzt werden können.
Begründung:
Die EU-Biodiversitätsstrategie 2030 sieht vor, dass jedes Land 30% seiner Fläche unter strengen Schutz stellen soll, was auch ein Verschlechterungsverbot beinhaltet. Bereits 2020 hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in Verbindung mit dem Bundesamt für Naturschutz Überlegungen für eine mögliche Umsetzung angestellt. Dem 30%-Ziel kann gerade dann entsprochen werden, wenn hierfür sämtliche vorhandenen Schutzgebiete herangezogen werden. In Baden-Württemberg wären das alle Naturschutzgebiete, Nationalparke, FFH- und Vogelschutzgebiete, Biosphärengebiete, Landschaftsschutzgebiete und Naturparke. Manche Regionen wie der Schwarzwald und die Schwäbische Alb sind von solchen Gebieten fast vollständig überdeckt, die zudem einen bereits guten Erhaltungszustand aufweisen.
Diese Ziele dienen gleichzeitig in hohem Maße dem Klimaschutz, weil sie sehr effiziente und kostengünstige Beiträge zur CO2-Senkung leisten.
Der Stadtrat von Baden-Baden hat am 19.12.2022 eine entsprechende Strategie für die gesamte Gemarkung mit einer Mehrheit von 23:15 beschlossen. Dazu gehört, dass die angestrebten Entwicklungsziele naturschutzfachlich (Fortschreibung der Landschaftsplanung) sowie naturschutzrechtlich und planungsrechtlich zu verankern sind (z.B. nach § 9 Abs. 2 Nr. 18 und Nr. 20 BauGB).
Nachfolgend Abbildungen zur Verdeutlichung des Konfliktes.
Zum Autor:
Ulrich Bielefeld ist Landschaftsarchitekt (Dipl.-Ing.) und Naturschutzbeauftragter beim Bodenseekreis.
Der Wunschkatalog zur Umsetzung der EU-Ziele einer Wiederherstellung der (geschädigten) Natur oder gar einer „Versöhnung“ des „Klimaschutzes“ mit dem Naturschutz klingt zwar gut. Die Realität der Rechtsentwicklung sowohl auf nationaler als auch EU-Ebene jedoch hat längst schlimmste Befürchtungen wahr werden lassen. Ich greife als Beispiel nur die im Katalog erwähnten deutschen Landschaftsschutzgebiete heraus:
Im durch die Bundesregierung novellierten Paragrafen 26 des Bundesnaturschutzgesetzes heißt es:
„In einem Landschaftsschutzgebiet sind die Errichtung und der Betrieb von Windenergieanlagen sowie der zugehörigen Nebenanlagen nicht verboten, wenn sich der Standort der Windenergieanlagen in einem Windenergiegebiet nach § 2 Nummer 1 des Windenergieflächenbedarfsgesetzes vom 20. Juli 2022 (BGBl. I S. 1353) befindet. Satz 1 gilt auch, wenn die Erklärung zur Unterschutzstellung nach § 22 Absatz 1 entgegenstehende Bestimmungen enthält. Für die Durchführung eines im Übrigen zulässigen Vorhabens bedarf es insoweit keiner Ausnahme oder Befreiung. Bis gemäß § 5 des Windenergieflächenbedarfsgesetzes festgestellt wurde, dass das jeweilige Land den Flächenbeitragswert nach Anlage 1 Spalte 2 des Windenergieflächenbedarfsgesetzes oder der jeweilige regionale oder kommunale Planungsträger ein daraus abgeleitetes Teilflächenziel erreicht hat, gelten die Sätze 1 bis 3 auch außerhalb von für die Windenergienutzung ausgewiesenen Gebieten im gesamten Landschaftsschutzgebiet entsprechend. Die Sätze 1 bis 4 gelten nicht, wenn der Standort in einem Natura 2000-Gebiet oder einer Stätte, die nach Artikel 11 des Übereinkommens vom 16. November 1972 zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt (BGBl. 1977 II S. 213, 215) in die Liste des Erbes der Welt aufgenommen wurde, liegt.”
Dies bedeutet de facto das politisch herbeigeführte Ende des Landschaftsschutzes in Deutschland. Bisherige Ziele und Kriterien sind dem Vordringen der Windkraftindustrie (und übrigens durch andere Federstriche der Verantwortlichen auf Länderebene auch der Freiflächen-PV) untergeordnet. Die ergebnisoffene Schutzgüterabwägung als Prinzip des Rechtsstaatlichen ist ausgehebelt.
Das Tafelsilber des Naturschutzes wird in nur einer Legislaturperiode, ausgehend von Deutschland, wohl alsbald auch europaweit verspielt werden.
Denn: Die Kommission und der Rat sind mit deutscher „Hilfe“ längst auf verschärftem Kurs Beschleunigung des Ausbaus der EE. Da helfen keine euphemistischen Umschreibungen: Das europäische Naturerbe wird im Zuge eines seelenlosen technischen „Klimaschutzes“ schwerst beschädigt und in Teilen zerstört werden.
Einige der die bisherigen Bemühungen und Erfolge des Natur-und Artenschutzes konterkarierenden Entwicklungen:
EU-Kommission (2022): Vorschlag für eine
Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Änderung der Richtlinie (EU) 2018/2001 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen, der Richtlinie 2010/31/EU über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden sowie der Richtlinie 2012/27/EU zur Energieeffizienz (18.05.2022).https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52022PC0222&qid=1662475332083&from=DE
EU-Kommission (2022): Neue Dringlichkeitsverordnung: EU-Kommission will Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien beschleunigen. PM 09.11.2022. https://germany.representation.ec.europa.eu/news/neue-dringlichkeitsverordnung-eu-kommission-will-genehmigungsverfahren-fur-erneuerbare-energien-2022-11-09_de
EU-Kommission (2022): Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung eines Rahmens für einen beschleunigten Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A52022PC0591
Verfahrensbeschleunigung, Abbau von Bürgerrechten, Verkürzung des Instanzenwegs, Schleifung der in den Richtlinien der EU (Vogelschutz und FFH) über Jahrzehnte erkämpften rechtlichen Standards… in wenigen Jahren werden wir große Teile der letzten Vorzugslandschaften nicht mehr wiedererkennen.
Die Erfahrungen des letzten Jahrzehnts lassen wenig Hoffnung zu. Dass das Handeln der Regierung mit den Schutzgütern der Verfassung kollidiert und dass wir zusätzlich etliche schwere Umweltsünden im Zuge der Energiewende durch Verlagerung in weit entfernte Gebiete und Länder und unter Inkaufnahme von Menschenrechtsverletzungen externalisieren, wird leider zu wenig in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Man denke etwa an das entstehende größte Windindustriegebiet Europas in Lappland auf Kosten der dortigen Indigenen, man denke an die weltweit entstehenden riesigen Bergbau-Eingriffe zur Beschaffung der für die sogenannte große Transformation benötigten Rohstoffe, um die schon jetzt Verteilungskämpfe aufflammen.
Ja die Aussichten sind eher düster. Trotzdem sollte man die Möglichkeiten der neuen Vereinbarungen zur Biodiversität für eine offensive Gegenstrategie nutzen. Der Beschluss in Baden-Baden könnte eine Vorlage für andere Kommunen sein, z.B. in Landschaftsschutzgebieten und Naturparken nur naturbasierte Maßnahmen zuzulassen, die sowohl der Biodiversität als auch dem Klimaschutz dienen. Eine Ablehnung solcher Zielsetzungen durch BUND, Grüne und SPD (wie in Baden-Baden) würde deren Umweltimage wohl nicht zuträglich sein.
Die Windkraft-Industrialisierung der Vorzugslandschaft am Bodensee muss zusätzlich eingeordnet werden.
Es ist der seit Jahren in Gang befindliche Skandal der Auslieferung der deutschen Staatswälder an die Windkraftindustrie. Es scheint niemandem zu stören, dass es sich um Zweckentfremdung eines der Verwaltung zur nachhaltigen Pflege überlassenen Treuguts handelt.
Forstverwaltungen werden deutschlandweit unter politischen Vorgaben zu Helfern der Waldvernichtung und zu Windkraft-Profiteuren.
Weitere Belege einer Entwicklung, die man auch mit Veruntreuung umschreiben kann, hier:
https://wolfgangepplenaturschutzundethik.de/?page_id=4447
Im Zuge der einseitigen Bevorzugung der Windkraft im Abwägungsfall und mit der gezielten Invasion dieser Industrie in die Wälder verliert Deutschland jede politische und rechtliche Glaubwürdigkeit, wenn es um den auf verschiedenen Konferenzen und durch völkerrechtlich bindende Konventionen beschlossenen Schutz der Wälder als wertvolle Lebensräume geht.
Stimme voll zu. In den letzten Jahren waren Initiativen auf den höheren politischen Ebenen erfolglos, angesichts der Lobbyarbeit von inzwischen “Großkonzernen” nicht anders zu erwarten. Auf kommunaler Ebene gab es dagegen viele vernünftige Entscheidungen, wenn Bürgerinitiativen die Sachverhalte an die Gemeinderäte vermitteln konnten. Auch viele diesbezüglich Klagen hatten Erfolg. Deshalb meine ich, dass dieser Ebene vorrangig Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte, auch im Hinblick auf die grundgesetzlich verankerte kommunale Planungshoheit. Da könnte ich mir auch Gegenwehr von Gemeinde- und Strädtebund vorstellen.
Mögen Einsicht, Weitsicht und Verantwortungsbewusstsein regionaler und kommunaler Entscheider das Schlimmste noch verhindern.
Doch zeigt eine aus Medienberichten ableitbare Erfahrung: In der Politik geht es nicht ohne Gegendruck! Muss dieser im gegebenen Fall von den Bürgerinnen und Bürgern ausgehen, so bedarf es breiter Aufklärung über wahrscheinliche Folgen des fraglichen Projekts. Das nenne ich “gespiegelte Aufklärung” – einen Blick in den Zukunftsspiegel.
Beispiel: Wenn Menschen zur Erholung von ihrer alltäglichen Tretmühle keine naturnahen Gebiete, Landschaften mehr finden (ganz Reiche meine ich hier nicht, die fliegen halt fort), dann werden die so Deprivierten wahrscheinlich Ersatzhandlungen entwickeln (https://de.wikipedia.org/wiki/Ersatzhandlung) – darunter gewiss auch gesellschaftsschädigende. In diesen Spiegel sollen die politischen Entscheider, Bürgerinnen und Bürger schauen. Wir Natur- und Landschaftsschützer halten ihn hin.
Ist das Volksverhetzung? Vielleicht. Der Schreiber ist Pfälzer, steht in der Tradition von Hambach 1832.