Weihnachten steht vielleicht noch nicht vor der Tür, aber zumindest schon am Gartentor. Lebkuchen gibt’s im Supermarkt schon seit September. Die Sonderverkaufszonen fürs Weihnachtsgebäck aus der Fabrik machen das Durchkommen zur Ökomilch im Kühlregal schwer. Langsam wird es Zeit, die Bretterbuden für die epidemisch übers Land gekommenen Weihnachtsmärkte zusammen zu zimmern, eine der grässlichsten Ausprägungen adventlichen Konsumfiebers. Und in den Wetterblogs wird munter übers Winterlochthema Nummer eins diskutiert: weiße oder grüne Weihnacht?
Die Chancen scheinen diesmal gar nicht schlecht zu stehen, weil der Polarwirbel schwächeln soll. Dann, so lernen wir, erlahmen die Westwinde und frostige Festlandsluft aus dem Osten kann es vielleicht wieder einmal bis zu uns schaffen. Schon der gerade zu Ende gegangene Oktober war deutlich zu kalt. Wie bitte? Gemach, liebe Klimaskeptiker, freut Euch nicht zu früh! Ein zu kühler in einer langen Reihe von zu warmen Monaten lässt „Klimapapst“ Hans Joachim Schellnhuber noch nicht in Sack und Asche gehen und Abbitte leisten.
In den wahrhaft dunklen Zeiten vor dem Siegeszug der künstlichen Beleuchtung war Weihnachten das Fest des Lichts. Da war Licht noch etwas Besonderes, vor allem im Winter, wenn es früh dunkel wurde. Heute muss man, um den einstigen Wert des Lichts zu ermessen, schon zu Manufactum laufen, um dort handgezogene Bienenwachskerzen vom letzten Kerzenzieher in der Oberpfalz zu ergattern. Zu Preisen, die dem Christkid Schweißperlen aufs lockige Haupt treiben ließe.
Das zeitgemäße Pendant zum Bienenwachs sind Leuchtdioden, die gerade eine Lichtrevolution in Gang gesetzt haben. Was man alles beleuchten kann, wird erst nach und nach offenbar. Kinderschuhe zum Beispiel, die bei jedem Schritt der Gören in allen Regenbogenfarben blinken, sind der letzte Schrei bei Technik affinen Eltern. Bald wird man die Dinger, sind sie mal abgelatscht oder aus der Mode gekommen, im Sondermüll entsorgen müssen, wegen der Schwermetalle in den Minibatterien.
Kürzlich fuhr mir im Englischen Garten ein mit LED-Lichterketten illuminierter Kinderwagen über den Weg. Auch Fahrräder erstrahlen neuerdings in allen Farben, die die Elektronik hergibt. Und die sausenden Rädchen von Skatboards müssen auch nicht länger ein Schattendasein fristen. Hunde werden schon länger mit kleinen, beleuchteten Herzchen oder Knochen ausgestatte. Das macht durchaus Sinn, weil die Viecher dann im dunklen Park nicht mehr so leicht von Rambo-Radlern über den Haufen gefahren werden. Ich sehe den Tag schon kommen, wenn es die Leuchtiodenlobby geschafft hat, dass alle auf den Straßen streunenden Hauskatzen zwangsweise befeuert werden müssen. Dann ist es nur ein Schritt, bis jeder Fußgänger beleuchtet Warnwesten zu tragen hat, wenn es dunkel wird.
Den Anwendungen sind offenbar keine Grenzen gesetzt. Einzelne Lichtquellen im Haus sollen bald der Vergangenheit angehören. Irgendwann sollen ganze Möbel leuchten oder gleich Wand, Decke und Fenster. Ich frage mich nur, was dann aus dem versprochenen Stromspareffekt wird. Oder haben wir es hier mit einem jener Rückkopplungseffekte zu tun, die versprochenen Effizienzgewinne wieder aufzehren oder sogar überkompensieren?
Richtig umweltfreundlich sind die sparsamen LEDs natürlich erst dann, wenn sie mit Ökostrom gespeist werden. Für all den funzelnden Schwachsinn müssen dann noch ein paar Windräder mehr aufgestellt werden. Die blinken aus Gründen des Kollisionsschutzes heute schon, was aber nur der Anfang sein dürfte. Man könnte sie doch wie ganzjährige Weihnachtsbäume von der Mastbasis bis zu den Rotorspitzen in effektvolle Lichtskulpturen verwandeln, um die deutschen Nachtenergielandschaften noch attraktiver zu machen. Die Räder könnten das bisschen Strom, das sie erzeugen, dann gleich selbst verbrauchen. Und die Energiewende fände ihren Sinn wirklich in sich selbst.
Zur Person
Georg Etscheit ist Autor und freier Journalist. Er wurde bei der Nachrichtenagentur dpa ausgebildet und schreibt unter anderem für die ZEIT, ZEIT online, dpa und die Süddeutsche Zeitung.
Georg Etscheit ist Landesbeirat im VLAB (Verein für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern) und Herausgeber des Buches „Geopferte Landschaften – Wie die Energiewende unsere Umwelt zerstört“.
Das Debattenbuch erscheint am 14.11.2016 im Heyne Verlag München.