Um die Antwort klar und deutlich vorwegzunehmen: Ja, natürlich! Gibt es hierfür auch geeignete Gebiete in Deutschland? Auch hierzu gleich meine Antwort: Nein, leider kaum!
Hierin liegt das große Dilemma. Deutschland zählt nicht nur mit zu den am stärksten zerschnittenen, sondern auch mit zu den am dichtesten besiedelten Ländern der Welt. Nehmen wir das Beispiel Kanada: Das Land ist rund 50 mal größer als die Bundesrepublik, hat aber nur knapp die Hälfte der Einwohnerzahl Deutschlands. Aufgrund der sehr späten Besiedlung im 18. Jahrhundert konnten sich trotz der rigorosen kanadischen Holz- und Forstwirtschaft eine Vielzahl an Naturwäldern (auch Primärwälder, Urwälder oder Old Growth Forests genannt) erhalten. Einige dieser Primärwälder wurden vor vielen Jahren als große Nationalparks ausgewiesen und dienen manchen Waldschützern in Deutschland als leider unzulässiges Vorbild: Beispielsweise der Banff-Nationalpark in den Rocky Mountains mit einer Größe von 664 Tausend Hektar. Selbst der kleine Pacific-Rim-Nationalpark an der Westküste Vancouver Islands ist mit rund 51 Tausend Hektar immer noch um das Doppelte größer als der größte Waldnationalpark Deutschlands, der Nationalpark Harz.
Kein “Zwei-Klassen-Wald” in Deutschland
Vollkommen anders als in Kanada zeigt sich die Situation bei uns. In dem recht kleinen und infrastrukturell stark belasteten Deutschland fehlen sowohl Primärwälder, als auch große, noch weitgehend ungestörte Waldlandschaften. Von Straßen und Siedlungen zerschnittene Mini-Nationalparks haben für den Naturschutz nur einen geringen Nutzen. „Wald-Möblierungen“ und sehr starke Besucherströme würden den Hauptzweck eines Nationalparks konterkarieren: die ungestörte Entwicklung komplexer Lebensgemeinschaften und einzelner Arten zu ermöglichen.
Die Ausweisung weiterer Nationalparks in Deutschland birgt auch die große Gefahr, außerhalb von Schutzgebieten den Wald zu stark zu nutzen und seine Funktionen dadurch einzuschränken, sei es durch starke Holzeinschläge oder durch den zügellosen Bau weiterer Windindustriegebiete. Erste Tendenzen dafür sind bereits deutlich zu erkennen: “Es handelt sich ja nur um einen wertlosen Wirtschaftswald, hier kann ein Windpark durchaus errichtet werden” lautete in der Vergangenheit manche Begründung für den Windradbau in Wäldern durch Naturschutzverbände.
Die Folge wären Zwei-Klassen-Wälder. Einerseits streng geschützte Nationalparks, andererseits stark genutzte Holzplantagen, flächig durchsetzt mit über zweihundert Meter hohen Windradtürmen. Oder anders ausgedrückt: Hier intensive Forstwirtschaft mit beeinträchtigten Waldfunktionen, Artenarmut und hässlichen Windindustriegebieten – dort wunderschöne Urlaubslandschaften und kompletter Gebietsschutz.
Integration hat Vorrang vor Segregation
Statt dieses negativen Szenarios muss eine räumlich streng getrennte Segregation unserer Wälder in Naturschutz- und Wirtschaftswälder vermieden und stattdessen auf eine nachhaltige und multifunktionale flächig wirksame Waldbewirtschaftung gesetzt werden. Klar definierte Naturschutzstandards müssen durch öffentlich rechtliche Forstbetrieb erfüllt werden.
Eine verantwortliche naturschonende Waldbewirtschaftung kann optimale Habitatstrukturen und Lebensbedingungen für einen Großteil der Tiere, Pflanzen und Pilze schaffen (Integration). Selbstverständlich bedarf es auch weiterer gleichmäßig verteilter Naturwaldreservate, die miteinander gut vernetzt werden müssen. Nur dies gemeinsam sichert Lebensvielfalt auf ganzer Fläche, erhält die wichtigen Schutz- und Erholungsfunktionen unserer Wälder und verhindert “Zwei-Klassen-Wälder”, wie beispielsweise in Finnland, Schweden Russland, den USA und Kanada.
Ideologien bestimmen die Diskussion
Leider geben aktuell sogenannte „Waldcampaigner“ der großen Umweltverbände, flankiert und angestachelt durch grün-alternative städtische Bevölkerungsschichten, die Richtung vor und bestimmen die öffentliche Meinung. Anstelle seriöser Waldexperten haben oftmals fachfremde Ideologen die öffentliche Diskussion und Deutungshoheit übernommen. Der eigentliche Zweck von Nationalparks und einer nachhaltigen Waldwirtschaft tritt vollkommen in den Hintergrund. Die Folgen sind unüberlegte, konfliktträchtige Standortvorschläge, wie das Gerangel um die Suche nach einen dritten Nationalpark in Bayern zeigt.
„Eigentlich sind die Wurzeln des Naturschutzes im Landschaftsschutz zu suchen“
Im Sinne dieser Worte des Vorsitzenden des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Prof. Dr. Hubert Weiger, ist eine Rückbesinnung auf den Schutz aller noch verbliebenen Wald- und Kulturlandschaften zwingend erforderlich. Zu viel wurde bereits zerstört oder infrastrukturell stark beeinträchtigt. Statt einer derzeit unnötigen Diskussion um Nationalparks sollte sich der Focus aller Umweltverbände auf einen flächigen Wald- und Landschaftsschutz richten, ergänzt um partiell segregative Elemente.
Zur Person
Johannes Bradtka ist Förster und Lehrbeauftragter für Waldnaturschutz und Flechten an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Weihenstephan-Triesdorf. Seit 2009 ist er ehrenamtlicher Vorsitzender der staatlich anerkannten Umwelt- und Naturschutzvereinigung VLAB (Verein für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern e.V.).
Hier eine Expertise im Auftrag des Bayerischen Umweltministeriums von Prof. Dr. Jörg Müller zum geplanten Nationalpark Spessart: “Unter den Waldbewohnern sind etwa 30% der Arten besonders an Totholz und Uraltbäume gebunden und heute überdurchschnittlich gefährdet. Eine Auswertung des Aussterberisikos bei Totholzkäfern hat gezeigt, dass es in Deutschland vor allem an starkem Totholz, an besonntem Totholz, an Laubtotholz und an Totholzstrukturen in tieferen Lagen mangelt. Diese vereinfachte Zusammenfassung umfangreicher Analysen unter Berücksichtigung der Phylogenie der Käfer spiegelt nahezu perfekt die Waldgeschichte seit 1790 wider. Ab da wurden devastierte Wälder in Deutschland konsequent auf ertragreiche, dichte, mittelalte von Nadelholz dominierte Forsten umgebaut. Eine Entwicklung die auch den Spessart in Teilen erfasst hat. Die wichtigen altbaumreichen Laubwaldbestände liefern aber genau das, woran es in Deutschland am meisten mangelt. Für Buchenwälder in Europa und am Beispiel Steigerwald konnte aufgezeigt werden, dass es bei der herkömmlichen naturnahen Forstwirtschaft, trotz Verwendung standortheimischer Baumarten und unter Verwendung von Naturverjüngung, zu klaren Artenverlusten und einem Verlust der funktionalen Diversität in Artengemeinschaften kommen kann. Beides unterstreicht die Notwendigkeit auch größerer Totalreservate in denen die Waldynamik über das volle Alter eines Baumes und auch auf Landschaftsebene ablaufen kann. (…) Im Gesamtfazit wäre ein Nationalpark Spessart ein geeignetes Instrument diese einmaligen Wälder im Sinne unserer globalen Verantwortung zu schützen, einen hochattraktiven Raum
für Erholung zu schaffen und einen wichtigen Lernort für Laubwälder in Bayern zu etablieren. Die Sorge um die Eiche als Baumart ist auf Grund der aktuellen Baumartenmischung und
Altersklassenaufbau der Wälder auf viele Jahrhunderte unbegründet. Eine stärkere Ausrichtung auf den Schutz alter Bäume würde auch eine wirkungsvolle Maßnahme gegen
das generelle Defizit in Deutschlands und Bayerns Wäldern darstellen. ”
Der gesamte Text samt Fußnoten hier: https://www.np3.bayern.de/images/np3_spessart_expertise.pdf
Dr. Jörg Müller – ein wirklich hervorragender Waldökologe, mit einer der Besten. Ich schätze ihn sehr.
Das freut mich zu lesen, Herr Bradtka! Denn er samt seiner Expertise wird in der Spessart-Nationalpark-oder-nicht-Diskussion nicht von allen geschätzt. Mir gefällt auch dieser Artikel mit einem Ausspruch von ihm sehr gut: (Es geht um die iranischen “hyrcanischen” Buchenwälder am Kaspischen Meer): “„Wir können dort erfahren, wo unsere Arten herkommen und wie nah verwandt sie mit den iranischen Arten sind. Außerdem sehen wir, was der natürliche Normalzustand ist. Dadurch wird uns erst bewusst, wie hoch die Messlatte eigentlich ist“, sagt er [= Prof. Jörg Müller]. ” https://www.nordbayern.de/reise-in-die-vergangenheit-des-steigerwalds-1.5683541 Dasselbe “in Grün” 😉 hat auch bereits der Kämpfer für einen Nationalpark Steigerwald gesagt, Dr. Georg Sperber: “Ich habe mich mein gesamtes Berufsleben bemüht, möglichst nah an der Natur im Wald zu wirtschaften. Aber wenn man unsere Arbeit mit den Naturwerten von uralten und unbewirtschafteten Buchennaturwaldreservaten wie Waldhaus und Brunnstube in den Staatswäldern des Oberen Steigerwalds vergleicht, haben wir nur in der Landesliga gekickt. In diesen alten Wäldern zeigt der liebe Gott, was Champions League ist.” (WWF-Magazin 1-2014) Ein bisschen mehr (und vor allem: GRÖSSERE!) Champions League in unseren Wäldern würde nichts schaden, auch nicht in Bayern. Der Nationalpark wäre auch nicht schuld an der angeblich dann zwingend eintretenden Aufteilung in “Schutz- und Schmutzwälder”, die ist doch ohnehin schon längst im Gange, aus ökonomischen Gründen, und wird von der Naturschutz-Seite doch auch beklagt. Das ist dieselbe Logik wie “Der Nationalpark ist schuld, dass dann stattdessen Urwald zerstört werden MUSS.” Zu dieser Argumentation übrigens eine Entgegnung von Manfred Großmann, dem Leiter des Nationalparks Hainich: https://waldproblematik.de/diskussion-prof-schulze-manfred-grossmann/
Auch ich bin der Meinung, das wir weitere Nationalparks brauchen um unsere Natur und Wälder zu erhalten. In diesen Flächen kann, darf und soll die Natur machen können was sie will. Ein Nationalpark würde uns allen helfen, der Natur, der Umweltbildung dem Tourismus und auch der Bevölkerung.
Aktuell soll in Bayern ein dritter Nationalpark entstehen im Rennen ist hier auch die Rhön mit teils sehr alten ganz tollen und wertvollen Buchenwäldern. Wir hier in der Rhön hoffen, man entscheidet sich bei dem neuen Nationalpark für die Rhön. Jeder, der auch der Meinung ist kann sich sehr gerne hier mit einem tollen postiven Eintrag im Gästebuch beteiligen und die Sache unterstützen. Danke. https://www.pronationalparkrhoen.de/buendnis-nationalpark-rhoen/