Alles hängt mit allem zusammen – Unser Verständnis von Biodiversität

Nahezu täglich liest oder hört man den Begriff „Biodiversität“. Politiker, Umweltaktivisten und sogar Wirtschaftsbosse gebrauchen ihn meist undifferenziert, ohne sich überhaupt der facettenreichen Bedeutung bewusst zu sein.  Auch der VLAB führt seit November 2021 den Begriff „Biodiversität“ in seinem Vereinsnamen. Was wir unter dem Begriff verstehen wird im Folgenden kurz dargestellt. Gleich so viel vorweg, die Vielfalt der Arten ist nur einer unter mehreren wichtigen Teilaspekten des Begriffs „Biodiversität“.

Vielfalt der Lebensräume

Deutschland ist eines der am dichtesten besiedelten Länder Europas.  Viele Lebensräume für Tiere und Pflanzen wurden bereits zerstört. Nicht nur Großschutzgebiete sind daher für das Überleben vieler Arten unerlässlich, sondern auch kleinere Habitate bspw.  Tümpel, Baumhöhlen, Feldraine und Wegränder oder Totholz. Ein Großteil der Landesfläche einschließlich der Gewässer ist biologisch mehr oder weniger stark verarmt. Verkehrswege, Siedlungen, Gewerbe- und Industriegebiete, Agrarflächen sowie “Windparks” und Solar-Freiflächenanlagen versiegeln und zerschneiden die Landschaften. Wegen dieser fortschreitenden Verarmung ist jeder Lebensraum unabhängig von seiner Größe wichtig.

Die wachsende Veränderung unserer Landschaften durch die Eingriffe des Menschen führt zu so genannten “Verinselungseffekten” bei vielen Tier- und Pflanzenarten. Sie können sich nicht mehr natürlich ausbreiten und die für sie geeigneten Lebensräume besiedeln. Alle noch vorhandenen naturnahen und bedingt naturnahen Lebensräume sind daher vor einer weiteren Überbauung  oder sonstigen Beeinträchtigung zu bewahren und Ausbreitungskorridore neu zu gestalten.

Vielfalt der Arten und ihre ökologischen Wechselwirkungen

Viele Tier-, Pflanzen- und Pilzarten sind eng miteinander verflochten. Dazu ein Beispiel aus den Wäldern Nordamerikas:

Flughörnchen (Bild oben rechts) ernähren sich im Winter überwiegend von Bartflechten, die auf den Ästen und Rinden alter starker Bäume aufsitzend (epiphytisch) wachsen. Im Sommer gehören statt der Bartflechten Schlauchpilze (Bild unten rechts) zur wichtigsten Nahrungsquelle der Flughörnchen.

 

Funktionelle (ökologische) Wechselwirkungen zwischen Flechten, Bäumen, Pilzen, Kleinsäugern und Eulen. Bild verändert nach Segerer A., Rundgespräche der Kommission für Ökologie, Bd. 36, München 2009.

 

Diese unter der Erde wachsenden Pilze leben mit den Baumwurzeln in einer engen Gemeinschaft (mutualistische Symbiose) zusammen. Hierbei versorgt der Pilz den Baum mit den im Boden gelösten Mineralnährstoffen und trägt dadurch zu seiner Vitalität bei. Der Baum liefert die für das Überleben des Pilzes essentiell wichtigen Photosyntheseprodukte. Beide Arten nutzen somit die Fähigkeiten des anderen zum gegenseitigen Vorteil, zum Überleben und Gedeihen.

Die Pilze wiederum sind auf die Verbreitung ihrer Sporen durch die Flughörnchen angewiesen, da sich diese nicht durch den Wind, sondern nur im Kot der Hörnchen ausbreiten können. Und nun kommt der stark gefährdete Fleckenkauz (Strix occidentalis) ins Spiel. Er brütet in großen Baumhöhlen naturnaher Wälder in der Westhälfte Nordamerikas. Zu seiner wichtigsten Nahrungsquelle zählen die Flughörnchen.

Zerstörungen des Lebensraums oder der Nahrungsquellen von einer der oben genannten Arten bringen das ökologische Netzwerk aus den Fugen.  Die  Auswirkungen auf alle anderen Spezies sind gravierend. Ihre Bestände kümmern, nehmen ab und werden in ihrer Fortpflanzung und Ausbreitung stark eingeschränkt. Das Artensterben setzt ein.

Vielfalt der Gene

Eine breite genetische Diversität der Tier- und Pflanzenpopulationen ist für die Anpassung an sich verändernde Umwelt- und Lebensraumbedingungen von größter Bedeutung. Vielfältige genetische Linien innerhalb einer Art steigern ihre Widerstandsfähigkeit – bspw. bei land- und forstwirtschaftlichen Störungen, Klimaveränderung oder Krankheiten. Eine Einengung des Genpools schränkt die Anpassungsfähigkeit ein und forciert das Aussterberisiko. Nach Charles Darwin überleben nicht die stärksten und intelligentesten, sondern die anpassungsfähigsten Individuen.

Hierbei spielt auch die Größe der Population eine wichtige Rolle. Wird ihre jeweils kleinste noch überlebensfähige Größe unterschritten, kommt es zu einem schleichenden, meist unaufhaltbaren Rückgang, bis hin zum endgültigen Aussterben der Art. Nach Ansicht des Evolutionsbiologen und Zoologen Josef H. Reichholf zählt in Populationen seltener Arten jedes einzelne Individuum. „Jeder Verlust wirkt in aller Regel als ein zusätzlicher Verlust, der die Wiedererholung oder die Bestandszunahme verzögert oder zum lokalen/regionalen Aussterben führt.“ Das europäische Artenschutzrecht priorisiert daher den konsequenten Individuenschutz, statt eines Schutzes der Gesamtpopulation.

Fazit

Alles hängt mit allem zusammen, erkannte schon der Naturforscher Alexander von Humboldt vor über 200 Jahren auf seinen vielen Reisen quer durch die Kontinente. Für dieses Wissen setzen wir uns ein. Der Name “Verein für Landschaftspflege, Artenschutz & Biodiversität” ist uns Verpflichtung!

Zur Person:

Johannes Bradtka ist Lehrbeauftragter für “Flechten & Waldnaturschutz” an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Weihenstephan und Mitglied der bryologisch-lichenologischen Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa. Seit 2009 vertritt er den Verein für Landschaftspflege, Artenschutz & Biodiversität e.V. (VLAB) als 1. Vorsitzender.

2 Gedanken zu „Alles hängt mit allem zusammen – Unser Verständnis von Biodiversität“

  1. Sehr gut und Danke ! Man lernt auch im hohen Alter nie aus.
    Hopfen & Malz, Gott erhalt´s .
    Prost Neujahr und beste Gesundheit für 2022,
    Ihr Norbert Meyer-Ramien aus HH-Neuengamme

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