Wespenjahre

Wozu sind Wespen eigentlich gut? Selten wird diese Frage so direkt gestellt, aber fast immer schwingt sie im Hintergrund mit, wenn es darum geht, diese lästigen Stecher von uns fern zu halten. Wespen haben kaum Freunde. Gute Wespenkenner gibt es wenige. Alle Jahre wieder taucht die Meinung auf, dass es heuer ganz besonders viele Wespen gäbe und dass sie extrem aggressiv seien. Viel Falsches kursiert, obgleich gutes Wissen über sie bis ins Altertum zurückreicht. Drei Aspekte ihres Lebens sollen hier etwas näher betrachtet werden: „Wespenjahre“, „Wespentracht“ und die „Bedeutung“ der Wespen im Naturhaushalt.

Wespen können sehr lästig werden. Sie trieben die Bewohner der Stadt Phaselis in Lykien zur Auswanderung. Davon berichtete der Römer Claudius Aelianus in seiner Naturgeschichte (De natura animalium) vor rund 1.800 Jahren. Schon damals war das aber „lange her“. Die Alten Griechen nannten Zypern „Sphekeia“, also Wespeninsel, weil es angeblich dort so viele gab. In den Alten Schriften heißt es (zusammengefasst): Die Wespen sind am häufigsten in trockenen Jahren und in felsigen Gegenden. Sie leben unter der Erde, bauen ihre Waben aus Abfall und Erde und beginnen damit an einem birnenförmigen Stiel. Ihre Nahrung beziehen sie von gewissen Blumen und Früchten, vorzugsweise fressen sie aber andere Tiere, besonders auch Bienen. Nach Aristoteles gehören die Wespen zu den Kerbtieren (Insekten), die Staaten bilden. Es gibt zwei Arten, meint er, nämlich „wildere“ und „zahmere“. Die Weisel oder Führer (Königinnen) sind bedeutend größer und weniger bösartig. Das Volk stirbt im Herbst und zu Beginn des Winters. Davor werden sie taumelig. Die größte Wespe, die Hornisse, galt in Ninive als solche Plage, dass man sie, wie im Talmud zu lesen ist, sogar am Sabbat töten durfte. Auch zur Gefährlichkeit für den Menschen gibt es konkrete Angaben: 27 Stiche waren todbringend. In dieser Zahl stecken die im Altertum so bedeutsamen magischen Zahlen Drei und Neun. Dreimal Neun ergibt die 27. Bei uns blieb davon der immer noch verbreitete Aberglaube übrig, dass drei Hornissenstiche einen Menschen und neun ein Pferd töten. Wespenplagen sind also weder neu, noch auf eine gesteigerte Empfindlichkeit der heutigen Menschen zurückzuführen. Weshalb es

Mehr Wespen in Dörfern und Städten als draußen in Wald und Flur gibt, deutet sich schon in der Beschreibung von Aristoteles an: Steiniges, trockenes und folglich auch sonniges Gelände mögen diese Wespen! Die Städte erfüllen mit ihren Gebäuden aus Stein, vielen sonnig-trockenen Ecken, mit geschützten Höhlungen (Dächern) und Schlupfwinkeln für die Überwinterung genau diese Bedürfnisse. Die Menschen mussten lernen, mit diesen Insekten umzugehen, seit sie in Städten leben. Der deutsche Name „Wespe“ bezieht sich auf die Art, wie sie herumschwirren: „wespen“ oder „wefszen“ wurde dies genannt. Mit dem Bau von „Waben“ (und dem Weben) hat das nichts zu tun, auch wenn das oft behauptet wird. Im Lateinischen und allgemein in den romanischen Sprachen lautet die Bezeichnung ganz ähnlich, nämlich „vespa“. Die Übereinstimmung mit Abend bzw. der (spät)nachmittäglichen Vesper drängt sich sogleich auf. Zu dieser Tageszeit werden die Wespen meistens auch besonders aktiv und aggressiv. Im Altgriechischen erhielten sie mit „Sphex“ eine andere Benennung, die auf ihr besonderes Merkmal, die Wespentaille, hinweist. Sphex bedeutet nämlich „eingeschnürt“. Horniss(e) hingegen ist lautmalerisch; im Preußischen hieß das „Sirsilis“. Darstellungen von Wespen gibt es bereits in altägyptischen Hieroglyphen (Abb. 1).

Abb. 1: Hieroglyphendarstellung einer Wespe.

 

Darauf zeigt sich das für Wespen so bezeichnende, gelb-schwarze Ringelmuster am (spitz auslaufenden) Hinterleib. Aber keineswegs alle Arten von Wespen tragen dieses Muster. Was sind Wespen überhaupt? Zusammen mit Bienen und Ameisen und einigen anderen, weniger bekannten Gruppen von Insekten bilden sie die so genannten „stachelbewehrten Hautflügler“, die aculeaten Hymenopteren. Der Stachel der Wespen und Bienen ist ein umgewandelter Legebohrer. Daher stechen nur die Weibchen und die von ihnen abgeleiteten Arbeiterinnen. Wespenmännchen haben wie auch die männlichen Bienen, die Drohnen, oder die Hornissenmännchen keinen Stachel. Man kann sie mit der Hand fangen und in der Faust festhalten. Es brummt und brummt darin, aber es wird nichts passieren – sofern man das Männchen richtig erkannt hat!

Wespen gibt es in vielen verschiedenen Arten. In Mitteleuropa gehören allein über 1000 zu mehreren Wespenfamilien. Von den „echten Wespen“ der Familie Vespidae kommen in Bayern 75 Arten vor. 40 davon (= 53%) stehen in der „Roten Liste“ der gefährdeten Tiere Bayerns. Wespen können also durchaus auch selten und bedroht sein. Lästig oder durch ihre Stiche für empfindliche Menschen gefährlich werden nur wenige Arten. Allen voran sind die beiden häufigsten zu nennen, die Gemeine und die Deutsche Wespe (Vespula vulgaris und V. germanica). Die dritte häufige Art dieser Gruppe, die Rote Wespe (Paravespula rufa), die ein rötlichbrauner Ring am Hinterleib kennzeichnet, ist hingegen, wie auch die „wespentypisch“ gezeichnete, aber zu den Langkopfwespen gehörige Sächsische Wespe (Dolichovespula saxonia) weit weniger aggressiv als die beiden anderen. Die am meisten gefürchtete Vertreterin der Wespenfamilie, die Hornisse (Vespa crabro), greift so gut wie nie ohne Grund an. Sie warnt sogar zumeist mit angedeuteter Stechbewegung, bevor sie tatsächlich sticht. Die Hornissen bauen große Nester, die über einen halben oder gar einen Meter hoch („lang“) werden. Sie beeindrucken damit auch ihre Kenner mit der schieren Menge, die dennoch selbst bei sehr großen Völkern kaum 1000 Hornissen erreicht. Aggressiver werden sie auch nicht, wenn das Volk groß geworden ist.

Die fußballgroßen oder noch größeren Nester der Gemeinen und der Deutschen Wespen findet man in dunklen Winkeln, Höhlungen oder unterm Dach. Im Spätsommer können sie mehrere Tausend Wespen enthalten. Auffällig und lästig werden sie nur in manchen Jahren. Solche Wespenjahre gibt es wirklich! Etwa alle drei Jahre vermehren sich bei uns die Wespen stark und nach meistens 9 Jahren treten richtige Massenflüge auf. Das zeigt Abb. 3 für den dreijährigen „kleinen Zyklus“ in München sowie Abb. 4 überregional für den „Großen“.  Im atlantisch-milden Klima Englands gibt es den Drei-Jahre-Zyklus auch. Ein Rhythmus der Witterung kommt also nicht in Frage. Es sind auch nicht die besonders heißen Sommer, die bei uns im südlichen Mitteleuropa zu großen Wespenjahren führen. Im Super-Sommer von 2003 blieb die Wespenhäufigkeit zumeist unauffällig. Eher könnten vorausgegangene Hitzesommer die Häufigkeit im nachfolgenden Jahr begünstigt haben, wie 1983, 1992 und 2000. Aber das ist Spekulation, weil vier Massenflugjahre in 33 Jahren bei weitem nicht ausreichen, um solche Zusammenhänge aufzudecken. Deshalb ist es auch nicht möglich, einen Einfluss der Klimaerwärmung auf die Wespenhäufigkeit abzuleiten, da diese seit 1980 eher ab- und keineswegs zugenommen haben. Ein nachteiliger Einfluss scheint gar nicht so abwegig, denn milde und feuchte Winter schaden den überwinternden Königinnen mehr als trockene und beständige Kälte. Wichtiger – und von den Mittelwerten zur Klimaerwärmung nicht erfasst – sind sicherlich der Beginn des Frühjahrs und der weitere Verlauf der Witterung bis zum Sommer.

Abb. 2: Häufigkeitsstufen (1 – 10) von Gemeinen und Deutschen Wespen im Stadtgebiet von München. Die 1994 begonnene Erfassung zeigt alle drei Jahre einen Höhepunkt mit „vielen“ bis „sehr vielen Wespen“.

 

Abb. 3: Entwicklung der Wespenflugjahre in Südostbayern (33 Jahre) mit erweiterter Skala der Häufigkeit. Die „extrem starken Wespenflugjahre“ nehmen möglicherweise ab (Trendlinie). Der Häufigkeitsindex bezieht sich auf München (10 =10); die Extremjahre erreichten mehr als Indexzahl 40, also das 40fache der Grundhäufigkeit.

 

In der Zeit von Ende April bis Mitte/Ende Juni entscheidet sich, wie viele angefangene Wespennester erfolgreich werden. Den vier Massenflugjahren ist gemeinsam, dass ihnen ein überdurchschnittlich warmer Sommer vorausging und das Frühjahr warm und trocken verlief. Vielleicht ist dies ein Ansatz, die Massenvermehrungen besser zu verstehen. Wahrscheinlich gibt es zudem einen negativen Zusammenhang zwischen Hornissen und Wespen. Sind Hornissen häufig, kommen wenig oder kaum Wespen vor – und umgekehrt. Auch dieser Befund deckt sich mit Hinweisen aus der mehr als zwei Jahrtausende alten Literatur. Beide, Hornissen wie Wespen, brauchen nämlich Insektennahrung, so steht es geschrieben. Ihr Protein dient vor allem dafür, dass im Spätsommer Geschlechtstiere produziert werden können. Die großen Hornissen fangen oft auch Wespen, wie die Überreste belegen, die unter großen Hornissennestern zu finden sind. Der Abfall zeigt auch, was von Hornissen sonst noch an Insekten  gefangen und verwertet worden ist.

Wir können also die Wespen nicht allein betrachten, um die Schwankungen ihrer Häufigkeit zu verstehen. Feinde wirken mit; sicherlich auch Krankheiten und Parasiten. Vielleicht ist es ganz „gut“, im Garten ein Hornissennest zu haben, wenn man von Wespen nicht allzu sehr belästigt werden möchte. Hornissen erkennen sogar bestimmte Menschen. Bot ich ihnen zwischen Daumen und Zeigefinger gebratenes Fleisch an, näherten sie sich und bissen Stückchen davon vorsichtig mit ihren Kiefern ab. Nach wenigen Versuchen kamen sie schon aus einem Meter Entfernung heran, um sich füttern zu lassen. Unsere größten „Wespen“ verdienen sicherlich einen weit besseren Ruf als sie haben. Dennoch fällt es schwer, die Hornissen gewähren zu lassen. Ein sehr wirksames „biologisches Signal“ hindert uns daran. Es ist dies die „Wespentracht“. Das schwarz-gelbe Ringelmuster signalisiert mit seiner Auffälligkeit besondere Gefährlichkeit und ermöglicht ein Phänomen, das mit dem Fachausdruck „Mimikry“ bezeichnet wird. Gelb und Schwarz, in scharfem Kontrast zueinander, heben sich von praktisch jedem Hintergrund ab. Wir erfassen dieses Muster sofort und stufen es als „gefährlich“ ein. Bei Bienen ist das anders. Wir „wissen“ zwar, dass sie stechen und auch stechen werden, wenn wir sie belästigen, halten aber die „Bienchen“ trotzdem für freundlich und wie die Biene Maja sehr nett, selbst wenn wir ihren Honig nicht haben wollen.  Bienenfleiß gilt uns sprichwörtlich; die nicht minder „fleißigen“ Wespen so zu charakterisieren, fällt uns aber nicht ein. Ihre Warntracht hält uns davon ab. Leider tragen auch die großen Hornissen diese Wespentracht, wenngleich nicht so scharf ausgeprägt. Somit fallen sie in dieselbe Kategorie und wir ordnen sie nicht den braven Bienen zu, an deren Stichen in Deutschland alljährlich 20 bis 40 Menschen sterben. Warum unterscheiden wir dann die „bösen Wespen“ von den „guten Bienen“? Am Honig allein kann es nicht liegen. Denn wir halten auch die Ameisen für „fleißig“. Der Hauptgrund ist die Warntracht. Instinktiv reagieren wir auf das Gelb-Schwarz und zögern sogar, völlig harmlose Nachahmer aus der Welt der Fliegen, nämlich Schwebfliegen, die dieses Wespenmuster tragen, einfach anzufassen. Surrt eine solche Fliege heran, weichen wir unwillkürlich zurück, als ob es sich um den Anflug einer Wespe handeln würde, und wir versuchen nicht, sie wie eine gewöhnliche Fliege mit einer Handbewegung zu verscheuchen. Die Warntracht funktioniert eben. Nachahmer können daraus ihre Vorteile ziehen. Die Schwebfliegen sind solche Nachahmer und es gibt viele weitere in der großen Welt harmloser Insekten, die dieses Wespenmuster ausnützen. Sogar Spinnen, wie die große, auffällige und im Freien mit ihren Netzen Heuschrecken fangende „Wespenspinne“ (Argiope bruennichi) nutzten dieses eindeutige Muster aus. Für die „Vorbilder“ entsteht daraus ein ernstes Problem. Werden die Nachahmer nämlich zu häufig, merken immer mehr Fressfeinde, dass dieses Muster gar nicht immer so gefährlich ist, wie es aussieht. Und da es sehr auffällig ist, tun sich die Feinde leicht, gezielt auf Feinheiten zu achten, um Beute zu machen. Nichts aus dem Kreis der natürlichen Feinde bedroht die Wespen aber so sehr wie das Nachlassen der Wirkung ihres Musters. Denn am Nest, wo sie sich zu Hunderten oder zu Tausenden einfinden, können sie, anders als die pfeilschnellen, sich nirgends in Massen ansammelnden Schwebfliegen, geradezu mühelos gefangen und verzehrt werden. Die Gegenreaktion der Wespen drückt sich in ihrer Aggressivität aus. Je größer ihre Staaten und je leichter zugänglich ihre Nester sind, desto stechlustiger werden sie. Oft reicht die bloße Annäherung auf wenige Meter, um schon den Angriff auszulösen. Deshalb nimmt bei den Wespen tatsächlich die Stechlust zu, wenn das Volk gewachsen und die Zeit gekommen ist, Geschlechtstiere zu erzeugen. Die stechenden Arbeiterinnen haben dann nicht mehr viel zu verlieren. Steril wie sie sind, können sie selbst keinen Nachwuchs bekommen. Auch leben sie nicht mehr lange. Denn mit dem Schlüpfen der Geschlechtstiere ist ihre Zeit vorüber. Sie sterben bald und haben nichts mehr zu tun. Bei Bienen, die viel länger leben, auch den Winter im Stock bleiben und darin sogar gebraucht werden, um die Temperatur zu regulieren, verhält es sich anders als bei den Wespen. Bei diesen kommt noch hinzu, das die Arbeiterinnen gern an Süßem „naschen“, weil sie Zucker als Treibstoff für ihren Flug brauchen. Kuchen und ähnliche süße Produkte auf dem Kaffeetisch bieten auf kleinem Raum ungleich mehr als die oft auch weit verteilten Blüten mit ihren winzigen Nektartröpfchen. Zucker ist Brennstoff; das Flugbenzin  gewissermaßen. Je mehr sie davon bekommen, desto weiter und länger können sie fliegen, um das Zweite zu beschaffen, das für den Wespenstaat äußerst wichtig ist, nämlich die eiweißhaltige Nahrung zur Versorgung der Brut. Gibt es nachmittags auf der Terrasse nicht nur Kuchen und Marmelade, sondern auch Wurst und Sahne, ist der Tisch im Sinne der Wespen wahrlich perfekt gedeckt. So eine Futterquelle wollen sie sich nicht entgehen und auch nicht streitig machen lassen. Versucht man sie zu vertreiben, werden sie stechlustig.

Was können wir hieraus für Schlüsse ziehen? Der „Naturhaushalt“, wie wir das vielfältige Leben draußen zu nennen pflegen, braucht in der Tat die Wespen. Sie sind Garant dafür, dass die vielen Nachahmer ihrer Warntracht leben und überleben können. Sogar für die viel größeren Hornissen gilt dies. Sie sind zwar wehrhaft, aber allein schon ihre Größe macht sie zu einer attraktiven Beute. Das Wespenmuster schützt sie vor einem allzu häufigen Probiert werden, was bei der Härte von Vogelschnäbeln durchaus für die Hornissen schwere Verletzungen bedeuten kann. Je kleiner das Volk, desto wichtiger sind aber die einzelnen Mitglieder, um es am Gedeihen zu erhalten. Die zweite Form von Mimikry, die Nachahmung des gleichen Musters durch wehrhafte Tiere, kommt somit bei den Hornissen zur Wirkung. Sie haben viel davon, für große und besonders gefährliche Wespen angesehen zu werden. Die Fressfeinde lassen sie in Ruhe! Noch mehr profitieren die kleineren Wespen davon, einander sehr ähnlich zu sehen: Deutsche und Gemeine Wespe, aber auch die „zahmeren“ Sächsischen und die Roten Wespen erhöhen durch die Ähnlichkeit untereinander die insgesamt vorhandene Menge der Träger dieser Warntracht. Sie verkündet echte Gefahr, weil all diese Wespen stechen können. Je mehr es solche gibt, desto weniger fallen Verluste an „Neulinge“ ins Gewicht, die diese Wespentracht noch nicht kennen und ausprobieren. Das Risiko wird verteilt; der Lernerfolg der Feinde kommt allen zugute. Noch bedeutsamer wird das Ganze schließlich auf einer „höheren Ebene“ in der Natur, nämlich wenn es darum geht, mit ganz anderen Organismen in Wechselwirkung zu treten. Viele Menschen, die wegen Wespen anfragen, staunen, wenn ich ihnen sage, dass diese unangenehmen Insekten auch wichtige Bestäuber von Blüten seltener und geschützter Blumen sind. Manche Orchideen hängen in ihrem Blüherfolg vom Wespenbesuch ab. Rote Wespen übertragen häufig die Pollensäckchen der Sumpfwurz-Orchideen (Epipactis palustris und E. atrorubens), die im Hochsommer in lichten Wäldern und auf sumpfigen Wiesen blühen. Ruhig und zumeist von Fressfeinden ganz unbehelligt können sie zu den recht zerstreut stehenden Orchideen fliegen und so die Pollensäckchen an die richtigen Stellen weiter tragen. Für die Bienen sind wir gewohnt, diese Tätigkeit hervorzuheben und ihre Bedeutung für die Bestäubung von Blüten zu betonen. Wespen machen es durchaus ähnlich, aber bei selteneren Pflanzen und später im Jahr. Wir brauchen zur Begründung, wozu die Wespen eigentlich gut sind, also gar nicht besondere Spezialisten aus der Vogelwelt heranziehen, wie den Wespenbussard (Pernis apivorus). Bodennester der Roten Wespen gräbt er aus und verzehrt die Larven und Puppen. Dass sich ein Greifvogel auf Wespen spezialisieren konnte, zeigt, dass sie schon seit Jahrmillionen sehr häufig genug waren und eine an Eiweiß und Fett reiche Beute darstellen. Auch die tropisch bunten Bienenfresser (Merops apiaster) verstehen sich geschickt darauf, mit Wespen umzugehen. Sie schleudern mit einem Schnabelhieb den Stachelapparat fort. Öde, offene und trockene Felsgebiete waren die ursprüngliche Heimat der Wespen, wie uns Aristoteles berichtete. Aus solchen, an großen Insekten reichen Gegenden kommen auch die Bienenfresser. Seit Jahrhunderten dehnen sie in warmen Jahren ihre Vorkommen aus dem Mittelmeerraum heraus immer wieder nordwärts aus. So auch in den letzten Jahren. Vielleicht werden aber trotz Klimaerwärmung die Bienenfresser und die Wespen in Zukunft seltener, weil es immer weniger geeignete Nistplätze für Bienenfresser gibt und die Streuobstwiesen, die in früheren Zeiten im Hoch- und Spätsommer mit ihrem Fallobst so reichlich Nahrung für die Wespen geliefert hatten, am Verschwinden sind. Wir ärgern uns über Wespen, wenn sie uns wieder einmal lästig fallen, und fragen mitunter sogar scheinheilig nach ihrer Rolle im Naturhaushalt, machen uns aber kaum klar, wie sehr wir unsere Natur verändern. Die Wespen sind Anzeiger für diese Veränderungen. Wir sollten sie also auch als „Bioindikatoren“ betrachten.

Zur Person

Prof. Dr. Josef H. Reichholf ist Zoologe, Evolutionsbiologe und Ökologe. Er war Sektionsleiter für Ornithologie der Zoologischen Staatssammlung München und Präsidiumsmitglied des WWF. Seit Oktober 2018 ist Reichholf einer der beiden Ehrenpräsidenten des Vereins für Landschaftspflege, Artenschutz und Biodiversität e.V. (VLAB).  2007 erhielt Reichholf den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa. 2017 wurde sein Buch  Symbiosen. Das erstaunliche Miteinander in der Natur als Wissensbuch des Jahres ausgezeichnet.

 

 

 

 

 

2 Gedanken zu „Wespenjahre“

  1. Ein ganz toller Artikel! Ich habe Hornissen das erste mal 1959 – ein Jahrhundertsommer – auf meiner Radtour durch Deutschland kennengelernt. Ich war mit meinem Schulfreund durch den Schluchsee geschwommen, auf der gegenüberliegenden Seite lagen Baumreste in denen sich offensichtlich ein Hornissen-Nest befand. Als wir aus dem Wasser kamen, wurden wir einen großen Schwarm dieser Hornissen (die ich bis dato gar nicht kannte) regelrecht angegriffen. Wir sind zurück in den See geflohen. Selbst im Wasser wurden wir noch attackiert. Ich konnte mit meiner Badekappe eine “abklatschen”. Das Tier ist wohl ertrunken, ich nahm es in der Badekappe mit und erfuhr dann von anderen Badegästen, daß das eine (meine erste) Hornisse sei.

    Inzwischen wohne ich seit 1986 in einem Reetdachhaus am HH- Neuengammer Elbdeich (Landschaftsschutzgebiet und FFH) und habe einen sehr schönen Garten mit Teich, Fischen, Fröschen und Ringelnattern. Wespen nisten sich von Fall zu Fall unterm Reetdach ein. Hornissen haben wir regelmäßig aber nicht in Schwärmen. Ich konnte aus nächster Nähe erleben/sehen, wie eine Hornisse eine Wespe im Flug gefangen und dann gefressen hat. Am meisten haben wir Hummeln, die gerne in allen unterschiedlichen Blüten Nektar sammeln.

    Was mir in den letzten Jahren aufgefallen ist, daß wir immer weniger Insekten haben, die abends um die Gartenleuchten fliegen. An den Spinnen, die ich nicht töte, kann das nicht liegen. Wir haben aber seit 5 Jahren riesige Repower-Windräder in 600 Metern Abstand hinterm Haus/Garten. Ich befürchte ( kann es aber nicht beweisen), daß das riesige “Fliegenklatschen” sind. Fledermäuse kommen seit dem auch nicht mehr.

    Es ist eine biologische Todsünde, daß nun noch mehr Windräder – besonders auch im Wald – errichtet werden. Das Umweltministerium hat mit Umwelt wenig zu tun, es ist ein Strahlenschutzministerium der Anti-Atomkraft-Partei.

    Beste Grüße aus Hamburg von Norbert Meyer-Ramien
    (Mitglied der Naturschutz Initiative)

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