Doch einfach ist das Thema nicht. Werner Dollinger (1918 – 2008) gehörte zu den Politikern, deren Argumente jeder verstehen konnte. Sicher auch deshalb berief ihn Konrad Adenauer schon 1962 in sein Kabinett, denn so Adenauer: „Je einfacher sagen, ist eine Gabe Gottes.“ Später als Bundesverkehrsminister von 1982 bis 1987 im Kabinett von Helmut Kohl musste sich Dollinger um den Straßenbau kümmern und geriet dabei mit den Naturschützern in Konflikt. Der Streit ging um eine Umgehungsstraße, der eine Wiese mit einer seltenen Orchidee zum Opfer fallen würde. „Es gibt bei uns 200 wild lebende Orchideen, hat mir mein Referent gesagt. Kommt Ihr denn nicht mit 199 aus?“ fragte er mich, als ich ihn beim Friseur traf. „Artenschutz ja, auch für eine einzelne Orchidee. Aber wir müssen auch an die Menschen denken. Gerade im letzten Jahr hat es drei tödliche Unfälle gegeben. Der Mensch hat Vorrang.“ Ich sagte, wir müssten um jede Art kämpfen, denn jede Art sei einzigartig und durch nichts zu ersetzen. Aber zufrieden war ich mit dieser Antwort nicht und der Friseur wohl auch nicht. Erst hinterher fiel mir eine bessere ein – hinterher, also zu spät. Wer kennt das nicht?
Jahr für Jahr verschimmelt ein Teil der Ernte und Hungersnöte plagen die Menschen bis heute. Hätten wir um 1900 ein Mittel gehabt, die Schimmelpilze auszurotten, wir hätten es getan. „Artenschutz ja, auch für den Schimmel. Aber wir müssen auch an die Menschen denken, die Hunger leiden. Gerade im letzten Jahr hat es wieder viele Hungertote gegeben. Der Mensch hat Vorrang.“ So hätten wir argumentiert. Vernünftig und sicherlich auch ehrlich gemeint. Wer will schon Menschen verhungern lassen nur um den Schimmel zu schützen?
Aber hätten wir es doch getan, wäre das eine Jahrhundert-Katastrophe gewesen, was groteskerweise niemand bemerkt hätte. Dann nämlich hätte Alexander Fleming das Penicillin nicht entdecken können, das Schimmelpilze bilden, um konkurrierende Bakterien zu bekämpfen. Wir hätten ein Jahrhundert-Arzneimittel verpasst! Penicillin und in Folge weitere Antibiotika haben vielen hundert Millionen Menschen das Leben gerettet und retten weiter Leben. Ohne Schimmel wäre mancher schon im Himmel! Naturschutz ist Menschenschutz.
Und groteskerweise könnten wir heute mit dem Brustton der Überzeugung behaupten: „Damals haben wir den Schimmel ausgerottet und viele Menschen vor dem Hungertod bewahrt. Geschadet hat es nichts und die Unkenrufe der Naturschützer haben sich als unbegründet erwiesen. Artenschutz ja, aber der Mensch hat Vorrang!“ Woher sollten wir auch wissen, dass uns das Penicillin entgangen war?
Zur Person:
Dr. Friedrich Buer gelingt als Publizist und Referent der Brückenschlag zwischen Biologie, Wirtschaft, Technik und Gesellschaft. Er ist darauf spezialisiert, neueste Forschungsergebnisse verständlich und unterhaltsam in Essays und Vorträgen zu präsentieren. Aus der Sicht des Biologen beschäftigt sich Dr. Friedrich Buer mit den Wachstumsstrategien der Natur und schildert anschaulich, warum High-Tech zwar bewundernswert, High-Nature aber einer viel höheren Kategorie zuzuordnen ist. Auf unserem Umwelt Watchblog wird er weiter über das spannende Thema Natur- und Landschaftsschutz – Fakten und Argumente unterhaltsam aber auch nachdenklich publizieren.