Mehr als eintausend Mal hat sich Georg Etscheits vor einem Jahr erschienene Biografie über den großen Dirigenten und Umweltschützer Enoch zu Guttenberg bereits verkauft. Das Buch wurde von Medien in ganz Deutschland besprochen und gewinnt jetzt, wenn sich Guttenbergs Todestag am 15. Juni 2021 zum dritten Male jährt, noch einmal an Aktualität. Auch der Verein für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern (VLAB) gedenkt seinem Mitgründer dieser Tage in Respekt und Dankbarkeit.
“Musik und Naturschutz lassen sich im Leben des 2018 verstorbenen Barons nicht trennen, darauf hebt Etscheit in seinem sorgfältig recherchierten, stets Anteil nehmenden, doch nie in Beweihräucherung verfallenden Porträt mit Nachdruck ab”, schrieb Lotte Thaler in der FAZ. Und bei Bayern 4 Klassik war zu hören: “Georg Etscheit schildert (…) sehr detailreich, aber auch mit Kritik, Humor und Distanz das Leben Enoch zu Guttenbergs. Zugleich gibt das Porträt in unterhaltsamem Stil einen interessanten Einblick in die vergangenen sieben Jahrzehnte deutscher Kulturgeschichte. Guttenbergs charismatische und vielfältige Persönlichkeit kommt zur Geltung, seinen Kritikern, die ihn gerne auf eine Rolle als reichen Unternehmer reduzieren wollten, wird durch dieses Buch das Wasser abgegraben.”
Der Spross eines alten, fränkischen Adelshauses, Vater des früheren Bundesministers und CSU-Hoffnungsträgers Karl-Theodor zu Guttenberg, war ohne Zweifel eine äußerst facettenreiche Persönlichkeit. Er war nicht nur ein bedeutender Musiker, sondern auch ein einflussreicher Umweltpolitiker mit Kontakten bis in die höchsten Ebenen der deutschen Politik.
Guttenberg war zudem ein erfolgreicher Unternehmer, der den Familienbesitz vor dem Untergang rettete, er war begeisterter Jäger und ehrgeiziger Reiter, ambitionierter Fotograf, geschmackssicherer Sammler von Altertümern, brillanter Redner und Schreiber und origineller Geschichtenerzähler. Er konnte feiern und trinken bis zum Umfallen und neigte zugleich zu Schwermut und apokalyptischen Anwandlungen, die auch in seinem musikalischen Schaffen tiefe Spuren hinterließen. Lebenslang haderte er mit den Resten seines katholischen Glaubens und rang damit vor allem den Passionen Johann Sebastian Bachs tief verstörende Sichtweisen ab.
Wie er gegen härteste familiäre Widerstände zielstrebig seine Karriere zunächst als Chorleiter, später als Orchesterdirigent verfolgte, wie er eine schlichte oberbayerische Liedertafel zu einem Chor von Weltrang formte und es mit seiner „Chorvereinigung Neubeuern“ bis in die New Yorker Carnegie Hall und den Wiener Musikverein schaffte, dürfte in der Musikgeschichte ohne Beispiel sein. Dem „Wunder von Neubeuern“ ist ein ausführliches Kapitel gewidmet, das sich streckenweise wie ein Märchen liest. Ebenso ausführlich beschrieben werden die von ihm mit geradezu aberwitziger Liebe zum Detail gestalteten Herrenchiemsee Festspiele, die als Juwel in der deutschen und europäischen Festivalszene galten. Nicht zu vergessen das Orchester mit dem merkwürdigen Namen „KlangVerwaltung“, mit dem zusammen er seine größten internationalen Erfolge feierte.
Enoch zu Guttenberg konnte nur Werke dirigieren, deren Botschaft ihm etwas bedeutete. Nur unterhalten („Schön ist scheiße!“) wollte er (fast) nie. Auch wenn er insbesondere mit der musikalischen Moderne wenig anfangen konnte, war sein Repertoire mit Schwerpunkten auf Barock (Bach, Haydn) über Klassik (Haydn, Mozart, Beethoven) bis zur Spätromantik (Bruckner, Verdi) entgegen anderslautenden Urteilen nicht klein. In seinen späteren Jahren wagte er sich sogar an Schostakowitschs Holocaust-Sinfonie „Babi Yar“ und begeisterte Publikum und Presse einmal mehr mit seiner bedingungslosen Hingabe an die Kunst und das, was sie ins zu sagen hat. Es war diese Hingabe, derentwegen ihm schon früh das Markenzeichen eines „Bekenntnismusikers“ an den Frack geheftet wurde.
Aufs Innigste verknüpft mit seiner Musik war sein lebenslanges ökologisches Engagement. Guttenberg gehörte zu den Mitgründern des Bundes für Umwelt- und Naturschutz in Deutschland (BUND) und zu den Inspiratoren einer grünen Partei. Immer wieder interpretierte er für ihn emblematische Werke wie Haydns Oratorien „Die Schöpfung“ und „Die Jahreszeiten“, um mithilfe der Musik auf die ökologische Gefährdung unseres Planeten aufmerksam zu machen. Im Streit um die Energiewende und den Ausbau der Windkraft im Kampf gegen den Klimawandel zerstritt er sich mit seinen einstigen Bundesgenossen und ging wieder einmal seinen eigenen Weg, indem er neue Umweltorganisationen mit ins Leben rief, die sich wieder dem klassischen Natur- und Landschaftsschutz verpflichtet fühlten.
Zum Autor:
Georg Etscheit, Jahrgang 1962, studierte Journalismus, Politische Wissenschaft und Geschichte Osteuropas in München, Frankfurt am Main und Moskau. Er volontierte bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa) und arbeitet für das Unternehmen als Redakteur und Korrespondent in Hamburg und Dresden, bevor er sich im Jahre 2000 in München selbständig machte. Seither beliefert er Redaktionen überregionaler Zeitungen und Zeitschriften sowie weiterhin die dpa mit Artikeln insbesondere zu ökologischen und kulturellen Themen. Seit fast zwei Jahrzehnten berichtet er für dpa exklusiv über die Salzburger Festspiele. 2016 brachte er zusammen mit anderen Autoren wie Enoch zu Guttenberg das Energiewende kritische Buch „Geopferte Landschaften“ heraus.
Georg Etscheit, Musizieren gegen den Untergang. Der Dirigent und Umweltschützer Enoch zu Guttenberg – ein biografisches Porträt, Verlag Schott Music, Mainz, 264 Seiten, zum Teil bebildert. Preis 22,90 (Paperback), 29,90 (Hardcover)
Foto oben: Markus C. Hurek, Berlin