Der Zeitgeist weht, wo er will. Mal von links, mal von rechts, mal schwächer mal stärker, mal bläst er einem ins Gesicht, mal ins Kreuz. Er ist wankelmütig wie der Wind, der die Windräder der Energiewende antreibt oder auch nicht. Verlassen kann man sich nicht auf ihn. Schön aber, dass es Institutionen gibt, die dem Zeitgeist nicht ausgeliefert sind. Wie die Kirchen etwa. Sie stehen fest in ihrer Tausendjährigen Tradition, sie sind für nichts als die Ewigkeit bestimmt, könnte man denken.
Doch nein, nicht erst seit in Rom der allseits geliebte Trendpapst Franziskus regiert, bläst der Zeitgeist mächtig unter die Soutanen. In seiner Öko-Enzyklika “Laudato si” nahm der Heilige Vater in bisher selten erlebter Deutlichkeit Stellung zum bis dato von den Kirchenoberen eher geschmähten politischen Tagesgeschäft. Er wetterte über Konsumrausch, Umweltzerstörung und die “Unterwerfung der Politik unter die Wirtschaft”.
Bei der Formulierung des Klimakapitels der Enzyklika soll ihm sogar der deutsche Klimaprophet, Umweltapokalyptiker und frühere Klimakanzlerinnenberater Hans Joachim Schellnhuber zur Hand gegangen sein. Der Klimawandel sei eine der wichtigsten aktuellen Herausforderungen der Menschheit, schrieb der Pontifex. Es sei dringend geboten, Programme zu entwickeln und den Ausstoß von Kohlendioxid rasch zu reduzieren.
Ganz nah am Puls der Zeit war die ehrwürdige Apostolische Kirche auch schon in früheren Jahren. 1975 rief der Heilige Stuhl “alle Menschen guten Willens” dazu auf, die “gemeinsamen Anstrengungen in der Nutzung der Atomenergie zu vereinigen für eine bessere Welt”. Vielleicht wurden damals ja auch Atommeiler gesegnet. Müsste man mal recherchieren.
Heute trommelt Franziskus’ Bodenpersonal vor Ort mitsamt den Kollegen von der evangelischen Konkurrenz kräftig für die Energiewende. Schließlich geht es um nichts weniger als den “Erhalt der Schöpfung”. Reihenweise werden von Kirchenleuten Windräder gesegnet, wie jüngst der hoch umstrittene Windpark Streu & Saale, gegen den die VLAB Regionalgruppe Rhön-Grabfeld jahrelang gekämpft hat. “Man habe sich die Windkraft schon immer nutzbar gemacht”, zitiert das Bayerische Landwirtschaftliche Wochenblatt in einem Jubelartikel einen Dekan namens Matthias Büttner. Und weiter: “Auch der rote Milan ist lernfähig, aber wir können uns nicht an die Erderwärmung gewöhnen.”
Über die von dem katholischen Dekan behauptete Lernfähigkeit des Roten Milans dürften Vogelkundler nur den Kopf schütteln. Eher dürfte sich der Mensch, wie seit Jahrtausenden, an den Klimawandel anpassen als der seltene Greifvogel an die sich an den Spitzen mit Schallgeschwindigkeit drehenden Schredder-Rotoren. Auch andernorts werden die riesigen Maschinen von Gottesmännern und -frauen eilfertig mit Weihwasser besprenkelt. Der Klimaschutz sei ein “erklärtes Anliegen der Kirche”, gab ein Geistlicher zu Protokoll, der drei Windkraftwerke bei Rapperszell nahe Eichstätt einweihte.
Und in Sindersdorf bei Hilpoltstein gab es einen ökumenischen Gottesdienst zur Inbetriebnahme zweier Windräder, zu der die Münchner Green City Energy AG eine “Festzinsanleihe” aufgelegt hatte. Hier “sei etwas geschaffen worden, das hilft, den Klimawandel zu verlangsamen”, sagte Pfarrerin Verena Fries. Im Schwarzwald versprach ein katholischer Priester anlässlich einer Windpark-Einweihung sogar in einem durchaus gewagten Sprachbild “Segen aus er Steckdose”.
Zuletzt noch diese aktuelle Einlassung eines Energiewende-bewegten Patoralreferenten aus dem “Seelsorgebereich Scheßlitz-Jura” zur Inbetriebnahme einer neuen Windindustrieanlage: “Heute wollen wir diese Anlagen nun unter den Segen Gottes stellen”, wird der Kirchenmann zitiert, “denn unser heutiges Treffen ist verbunden mit der Freude, dass diese Anlagen fertiggestellt sind wie auch mit der Hoffnung, dass sie den Menschen dienen mögen.” Nach den Fürbitten um Gottes Schutz für die Windräder und die damit beschäftigen Menschen segnete er, so die Lokalzeitung, dann die Anlagen mit Weihwasser.
Wenn die Kirchen glauben, sie müssten dem Zeitgeist hinterherlaufen, ist das eine Sache. Eine andere Sache ist es, jene immer zahlreicher werdenden Schäfchen vor den Kopf zu stoßen, für die Windräder in der Nachbarschaft alles andere sind als ein Segen. Und wieder eine andere Sache ist es, per Weihwasserbesen Werbung für Wirtschaftsakteure zu machen. Da könnten die Geistlichen in ökumenischer Eintracht auch ausziehen, um Supermärkte und Möbelhäuser zu segnen. Oder gleich eine ganze Fabrik, vielleicht für Elektroautos. Denn nichts anderes sind Wind-Industriegebiet: großindustrielle Bauwerke zur Erzielung von Gewinn für wenige. Aber es gab ja Zeiten, in denen Geistliche beider Konfessionen auch Waffen gesegnet haben und Soldaten, die in den Heldentod zogen.
Die Kirchen sollten allen Moden trotzen, statt ihnen hinterher zu hecheln. Und sich auf ihr Kerngeschäft besinnen: das Evangelium zu verkünden. Steht eh alles drin.
Sehr geehrter Herr Etscheit,
wieder ein sehr guter und lesenswerter Kommentar! Leider gilt die “Energiewende” immer noch als Beitrag zur Weltrettung, weil ihre desaströsen Auswirkungen in der Öffentlichkeit nicht thematisiert, ja geradezu tabuisiert werden! Die Kirchen sammeln “Brot für die Welt” und unterstützen zugleich eine Politik, die auch den Anbau von Nicht-Nahrungsmitteln subventioniert und den von Nahrungs- und Futtermitteln unwirtschaftlich macht. In Deutschland sind das schon rund 34.000 qkm bester Ackerfläche, so groß wie das Bundesland NRW, die wir für den Anbau von Silomais und Raps missbrauchen. 815 Millionen Menschen hungern in der Welt, aber wir produzieren Biogas statt Brot. Das Brot, das wir brauchen (und Soja, Palmöl u.v.m.) kaufen wir den Ärmsten zu billigen Preisen einfach ab und können uns auch noch leisten, riesige Mais- und Rapswüsten zu schaffen, über denen sich die gesegneten Windräder drehen. Ist das gottgefällige Politik, verehrte Kirchenleute, oder nicht doch ziemlich pervers und scheinheilig?
Mit freundlichen Grüßen
Karl Tempel
„Fachmenschen ohne Geist, Genußmenschen ohne Herz:
dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe
des Menschentums erstiegen zu haben.“
aus Max Weber,
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus
wie trefflich…
Sehr geehrter Herr Etscheit,
auch mir ist das Verhalten der Kirchen ein Dorn im Auge. Auch aus diesem Grund habe ich den Artikel “Wer nichts weiß, muss alles glauben” verfasst und auf meiner Homepage unter der URL
https://www.gegenwind-poxdorf.de/Kolumne/21-08-2017
veröffentlicht. Als Flyer habe ich ihn dann anlässlich einer Podiumsdiskussion (Klimaveränderungen Oberfranken am 24.8.2017 in Forchheim) am Veranstaltungsort (Katholische Pfarrzentrum Verklärung Christi) verteilt. Die gleiche Aktion habe ich vor der “Lesung und Diskussion mit Toni Hofreiter” am 19.9.2017 im “Kreuz + Quer” – Haus der Kirchen Erlangen durchgeführt.
Fazit: Kein kirchlicher Vertreter hat weder ein Gespräch mir mir gesucht oder mich per Mail angeschrieben.
Natürlich gibt es auch Ausnahmen wie z.B. Dekan Albert Bauernfeind der sagt “Rotorblätter seien nur Feigenblätter derjenigen, die vorgeben, etwas für die Schöpfung zu tun”
( https://www.merkur.de/lokales/fuerstenfeldbruck/kirche-erfreut-ueber-windrad-5056049.html ).
Mit freundlichen Grüßen
Reiner Pracht
Ebenso die namhaften Naturschutzverbände sollten allen Moden trotzen, statt ihnen hinterher zu hecheln. Und sich auf ihr Kerngeschäft besinnen: den Naturschutz (Mensch ist auch Natur) zu verkünden.
Gisa Erdmann
Die Erfahrungen mit der Kirche, so wie sie Reiner Pracht aus Oberfranken schildert, sind kein Einzelfall. Auch andernorts schweigt man Kritiker und Kritik, seien sie auch noch so profund und sorgfältig vorgetragen, seitens der Amtskirchen einfach aus.
Zur Ehrenrettung des derzeitigen Papstes und seiner Umwelt-Enzyklika sei jedoch betont, dass in den Teilen, in denen erkennbar nicht Herr Schellnhuber hineingewirkt hat, die Kritik am nutzenorientierten Anthropozentrismus sehr wohl deutlich ausfällt.
Ich habe in meiner unlängst erschienenen Denkschrift ( Epple, W. (2017): Windkraftindustrie und Naturschutz sind nicht vereinbar. Windkraft-Naturschutz-Ethik, Hrsg. Naturschutzinitiative e.V., 140 Seiten) auf Seite 99 aus dem Punkt 184 aus der Enzyklika zitiert:
„Wenn eventuelle Risiken für die Umwelt erscheinen, die das gegenwärtige oder zukünftige Gemeinwohl betreffen, verlangt die Situation, „dass alle Entscheidungen auf der Grundlage einer Gegenüberstellung der Risiken und der Vorteile jeder in Frage kommenden Alternative getroffen werden“.[131] Das gilt vor allem, wenn ein Projekt einen erhöhten Verbrauch natürlicher Ressourcen, eine Zunahme von Emissionen oder Abfallprodukten, die Erzeugung von Rückständen oder eine bedeutende Veränderung der Landschaft, des Lebensraums geschützter Arten oder eines öffentlichen Raums verursachen kann. Einige nicht ausreichend analysierte Projekte können zutiefst die Lebensqualität eines Ortes schädigen aufgrund von so verschiedenen Fragen wie zum Beispiel eine nicht vorhergesehene Lärmbelästigung, die Beschränkung der Sichtweite, der Verlust kultureller Werte, (…)“.
Praktisch alle in der Enzyklika hier angesprochenen negativen Sachverhalte treffen auf die Windkraftindustrialisierung wertvoller Lebensräume und der Erholungslandschaften zu.
Vorbemerkung: Mit dem Intro “Damit leistet auch der Landkreis Rhön-Grabfeld einen Beitrag zur Energiewende, die ohne Windkraft als einem wichtigen Standbein innerhalb des Energiemixes nicht gelingen kann” zeugt der Bericht des Wochenblattes entweder von Hofberichterstattung oder von journalistischer Unkenntnis des Konjunktives.
Wenn Kirchenfunktionäre Produkte segnen oder gar in Rom analysieren, welche Ereignisse Wunder seien, wird solchem Tun dennoch Beifall gespendet, wenn es nur vergeistigt genug daherkommt.
Wenn der Dekan Büttner meint, man habe sich die Windkraft schon immer zunutze gemacht, ist das richtig. Zu ergänzen ist, daß die Drehzahlen alter Holländer Windmühlen (Rotorblattlänge 10m) den Drehzahlen heutiger Groß-WKA entsprechen, wenn ihnen genug Wind weht.
Kritisch wird’s aber, wenn die EKD versucht, 500 Jahre nach einer einzigartigen kirchlichen Reformation doch noch einen draufzusetzen. Da sollte man sich doch bitte überlegen, ob man zu kollektiver Bestrebsamkeit unter dem Motto “Gott neu entdecken” aufruft (so die EKHN, vgl. meinen Kommentar unter https://www.gott–wissen.de) oder ob es nicht jeden Tag mehr Sinn macht, der Fortschreibung von Schöpfung (vgl. z.B. Gen 1.28, 2.15) etwas mehr weltliches Wissen zugrundezulegen. Sonst enden Andachten wie eingangs angesprochen, im Beifall für wohlfeil Nichtsgesagtes.
Es reicht nicht, seit Jahrzehnten zu predigen, man müsse neue Wege gehen und dabei Schaden und Nutzen abwägen, wenn man dabei als Kirche nicht auch ‘mal die einschlägigen Schäden benennt und erklärt, wie diese jeweils in moraltheologischer Abwägung zu behandeln seien. Wer Glauben predigt, muß auch Glaubwürdigkeit praktizieren.
Aber eher verschlägt es dem lernfähigen Milan die Sprache, als daß man ihm so manche zu seinen Lasten gehende windige Abwägung vermitteln könnte.