Es riecht nicht alles gut, was kracht.“ Dieses Zitat von Karl Valentin, die lakonische Reaktion auf ein gerade abgebranntes „Brillantfeuerwerk“, zeigt seine tiefe Einsichtsfähigkeit in fundamentale Zusammenhänge humaner Lebenspraxis. Es zielt in die gleiche Richtung wie ein anderer, oft zitierter Aphorismus Valentins „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“. Alles Schöne, Gute, alles was Spaß macht, hat seine Schattenseiten, will uns der große Komiker und Alltagsphilosoph sagen. Eine Erkenntnis, deren Wahrheitsgehalt nicht zu bestreiten ist.
Damit wären wir auf einem kleinen Umweg beim Thema dieser Kolumne: den bevorstehenden Silvesterfeierlichkeiten und deren Auswirkungen auf die ökologische Integrität unserer Republik. Immer in der staden und etwas melancholischen Zeit „zwischen den Jahren“, einer Art kalendarischem Niemandsland, brechen warnende Mitteilungen über die Menschen herein, die den achtlosen Umgang mit Silvesterfeuerwerk und anderen traditionellen Bräuchen zum Jahreswechsel betreffen.
Der Reigen besorgter Presseaussendungen beginnt bei der obligatorischen Aufforderung der Innenministerien und Handelsverbände, beim Abbrennen von Feuerwerkskörpern der Klasse 2 den nötigen Sicherheitsabstand zu wahren und auf die Zulassungszeichen der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) zu achten. Billigkäufe bei fliegenden Händlern solle man meiden. Nur der Einzelhandel garantiere die sachgerechte Prüfung von Böllern, Schwärmern und Raketen – ein Rat, bei dem man ein gewisses, merkantiles Eigeninteresse unterstellen darf.
Auch die Umweltverbände lassen ihre Pressestellen zwischen Weihnachten und Silvester nicht zur Ruhe kommen. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) etwa warnt traditionell vor den Lärm- und Feinstaubbelastungen in der Silvesternacht, bei denen Tier und Mensch Schaden nehmen könnten und propagiert einen Verzicht auf die Silvesterknallerei. Der Vollständigkeit halber verweist der BUND auch auf den CO2-Fußabdruck, der beim Import der meist aus Fernost stammenden Feuerwerkskörper entstehe und die fragwürdigen sozialen Bedingungen in den pyrotechnischen Produktionsstätten.
Das Umweltbundesamt hat sich die Warnung vor dem angeblich gesundheitsschädlichen Bleigießen (giftiges Schwermetall!) auf Wiedervorlage gelegt und empfiehlt als ökologische Alternative das Wachsgießen, wobei die „beim Ausgießen entstehenden Figuren (…) nicht ganz so formenreich“ seien wie beim Blei – „hier ist Ihre Phantasie umso mehr gefragt“. Ergänzend wirft der BUND als interkulturelle Variante des Bleigießens noch das aus dem nahöstlich-arabischen Kulturkreis stammende Kaffeesatzlesen in den Ring. Was Menschen machen sollen, die ihren Kaffee längst nur noch mit der Kapselmaschine brauen, erfährt man leider nicht.
Bliebe der Naturschutzbund Deutschland (NABU), der seine Warnungen nicht nur auf den Silvestertag beschränkt sondern dazu aufruft, auch Feuerwerke zu anderen Gelegenheiten im Jahreslauf (Dorf- und Stadtfeste, Firmenjubiläen, Musikfestivals) kritisch zu hinterfragen. Denn die „Auswirkungen des enormen Lärm- und Blitzlichtgewitters und die Folgen der anschließend vom Himmel rieselnden Schadstoffe sowie deren Anreicherung im Boden und Gewässer auf Tier und Pflanzenwelt“ seien „bislang kaum bekannt“. Dazu kann man im Internet ein Filmchen anklicken, das eine von pyrotechnischen Darbietungen verstörte Kohlmeise zeigt.
Auf die Klimaerwärmung dürfte der silvesterliche Feuerzauber glücklicherweise keinen Einfluss haben, sonst wäre sicher bald Schluss mit lustig. Zwar entstünden mit CO2 und Ruß beim Verbrennen von Schwarzpulver zwei durchaus klimarelevante Substanzen, recherchierten die Kollegen von klimaretter.info in Berlin. Doch einen “messbaren Effekt auf das Klima hat das sicher nicht”, wird ein Atmosphärenchemiker vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz zitiert. Ruß wirke nämlich vor allem tagsüber klimaschädigend, wenn die dunklen Partikel die Sonnenstrahlen absorbieren und so die Atmosphäre erwärmen.
Bei einer Messung in der Silvesternacht in Mainz habe der Chemiker außerdem viel Sulfat festgestellt, das als eher abkühlend gilt. Weitere Forschungen scheinen angezeigt. Vielleicht ergibt sich ja sogar ein leicht positiver Klimaeffekt, der Feuerwerk als neues Mittel des Geo-Engineerings auf Umwegen auch bei Umweltschützern wieder hoffähig machen könnte.
Natürlich verdienen all die Warnungen im Dienste unserer Mitgeschöpfe und uns selbst allerhöchsten Respekt. Ob sie befolgt werden, steht auf einem anderen Blatt. Die Verkaufsstatistiken von Feuerwerksartikel weisen seit Jahren eher nach oben statt nach unten. 133 Millionen Euro wurden 2016 ausgegeben, um den Anbruch des Neuen Jahres zu feiern. Dieses Jahr dürfte ein ähnliches Niveau erreicht werden und eine Trendumkehr ist auch nach 35 Jahren „Brot für Böller“, einer Aktion der Entwicklungshilfeaktion „Brot für die Welt“, offenbar nicht in Sicht.
Die ernüchternde statistische Wirklichkeit spricht nicht dagegen, einmal einen stillen, „böllerfreien“ Silvesterabend zu feiern und das eingesparte Geld in einen Ökokarpfen oder eine Flasche Champagner mit „Brot für Böller“-Etikett zu investieren. Ich selbst war in meiner Jugend ein rechter Feuerteufel, der gar nicht genug kriegen konnte vom infernalischen Tand, wahrscheinlich, um meine Eltern und die Nachbarn zu ärgern. Heute ziehe ich es vor, mit der ganzen Silvestergesellschaft auf den Balkon zu treten und zu beobachten, wie sich andere Menschen als Hobbyfeuerwerker verausgaben. Das macht auch Spaß. Und wenn es der Feinstaub zu dicht zu werden droht, kann man sich wieder dem Buffet zuwenden.
Trotzdem käme ich nicht auf die Idee, ein Ende all dieser schönen Traditionen qua amtlichen Verbots oder freiwilligen Verzichts zu fordern. Ich glaube oder hoffe, dass sich die Tierwelt von dem doch immer noch eher seltenen Radau am Himmel nicht nachhaltig beeindrucken lässt. Und wenn man nicht jeden Tag morgens, mittags und abends zum Bleigießens schreitet, dürfte sich auch die Gesundheitsgefahren dieser neben diversen Klimamodellen doch recht harmlosen Variante der Zukunftsdeutung in Grenzen halten. Einmal im Jahr darf man es schon mal krachen lassen. Jedenfalls bis zur Erfindung der lautlosen und emissionsfreien E-Rakete.
P.S.: Soeben meldet Spiegel online: Ab 2018 gelten in der EU scharfe Grenzwerte für bleihaltige Produkte. Die üblichen Sets fürs Bleigießen würden bald aus dem Handel verschwinden. Aber den einschlägigen Institutionen wird schon was einfallen, vor dem sie die Menschen auch in Zukunft bewahren können.