Die europäischen Kulturlandschaften kommen unter die Räder und verwandeln sich flächendeckend in riesige Industriegebiete. Wenn es nach den Energiewendern geht, müssen wir das schön finden.
Von Georg Etscheit
Telefonat mit einem entfernteren Verwandten, betagt, aber noch wach und lebenslustig. Er ist promovierter Historiker, Musik liebend, gebildet, sensibel, Ästhet durch und durch. Es geht um die Landschaftszersiedlung. Schrecklich, meint er. Diese Betonklötze überall, die Neubau- und Gewerbegebiete. Bald bleibe nichts mehr übrig von der Schönheit vergangener Zeiten. Und die Windräder, wirft man ein, um Zustimmung heischend, das sei doch der endgültige Todesstoß für unsere Landschaften. Ach, entgegnet er leichter Hand, um die gehe es ihm nicht. Irgendwoher müsse der Strom ja kommen?
Wie kommt es, dass ein Mensch, der sich Jahrzehnte lang hauptberuflich darum kümmerten und dafür kämpfte, altes Kulturgut zu erhalten, die verheerenden landschaftsästhetischen Auswirkungen von mittlerweile rund 30 000 Windkraftwerken landauf, landab, nicht wahrnimmt? Und der noch dazu in einer Region lebt, die von der Windindustrie nahezu vollständig massakriert, ihres einstigen, anmutigen Charakters beraubt und in ein riesiges Industriegebiet verwandelt wurde. Wie kann man den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen? Wie kann man offenbar die eigenen Wertmaßstäbe, das Urteil darüber, was schön und nicht schön ist, so vollständig verdrängen oder gar verraten?
Der Landschaftsarchitekt Werner Nohl, der als heute emeritierter Professor am Wissenschaftszentrum Weihenstephan der Technischen Universität München (TUM) über Jahrzehnte die Wahrnehmung landschaftlicher Reize erforschte, meint die Antwort auf diese Frage zu kennen. Sie liegt im Zusammenprall von Wissen, hier ökologischem Wissen, und ästhetischer Wertschätzung. Ein Beispiel: Vom rein ökologischen Standpunkt aus betrachtet sind Weinlandschaften wie der Rheingau, das Moseltal oder der Kaiserstuhl der reine Horror. Es sind riesige, frei geräumte Monokulturen, die intensiv mit Agrarchemie behandelt werden. Ein vielleicht sogar abstinent lebender Umweltschützer würde sie meiden wie die Pest und die Frage, ob er diese Landschaften schön fände, sicher mit einem klaren „Nein“ beantworten. Ein passionierter Weinkenner dagegen würde die gezirkelten Schachbrettmuster der Rebparzellen preisen und die wertvollen Kreszenzen, die ihnen entstammen. Für ihn sind Weinlandschaften, vor allem wenn sie in der herbstlichen Erntezeit in Gold und bunten Farben erglühen, ein ästhetisches Labsal.
Noch diffiziler wird es, wenn das Wissen hinter der ästhetischen Wahrnehmung durch Werbung und Propaganda verzerrt wird. Eine derart manipulativ gesteuerte „Umwertung der Werte“ liege beispielsweise vor, wenn jemand einen Windpark, den er im Akt des spontan-persönlichen Erlebens eigentlich nicht schön findet, aufgrund fortgesetzter Propagierung der Windenergie durch einflussreiche gesellschaftliche Institutionen schließlich doch ästhetisch bejahe, schreibt Nohl in einem Beitrag zu den „Göttinger Schriften zu Landschaftsinterpretation und Tourismus“. Er opfere dann in einem Akt identifikatorischer Anpassung seine eigenen landschaftsästhetischen Bedürfnisse und Gefühle fremden außerästhetischen Werten. „Manipulationen dieser Art zielen darauf ab, die Menschen dazu zu bringen, Landschaft ästhetisch so zu erleben, wie sie sie erleben sollen.“ Die Gründe für diese von Fremdkräften beabsichtigte Selbstzerstörung der eigenen ästhetischen Werte lägen laut Nohl auf der Hand: „Die Betroffenen möchten bezüglich der regenerativen Energiepolitik mit ihren persönlichen ästhetischen Wertauffassungen nicht alleine dastehen, wenn in der öffentlichen Meinung die Windenergiepolitik als nachhaltig und ökologisch und damit als moralisch geboten dargestellt wird.“
Dabei hat Nohl mittels der Technik sogenannter vergleichender Landschaftsbildbewertung statistisch signifikant nachgewiesen, dass unbeeinflusste Menschen die turmhoch aufragenden, Horizonte sperrenden, aus der Nähe bedrängend wirkenden Rotoren meist als weniger „schön“ empfinden als eine traditionelle, bäuerliche Kulturlandschaft mit ihrem rhythmischen und maßstäblichen Neben- und Ineinander von Feldern, Äckern, Wäldern, Wasserläufen, Bauddenkmälern und Siedlungen, das noch nicht großtechnisch überbaut wurde und in dem der Kirchturm noch den höchste Punkt im Blickfeld darstellt. Warum die Zeichen der industriell-technischen Epoche oft als störend wahrgenommen werden, erklärt Nohl mit dem Bedürfnis des modernen Menschen, sich immer wieder vergewissern zu wollen, „dass wir nicht nur Geist, sondern auch Natur sind“. Bis heute erlebten die Menschen die agrarisch und forstlich genutzten Außenbereiche „in aller Regel als „Bild friedvoller, ästhetisch-emotional anrührender Natur“, die sie in den verstädterten Gebieten oft vergeblich suchten.
Das, was Nohl nun die „identifikatorische Anpassung“ an „fremde, außerästhetische Werte“ nennt, ist in Deutschland besonders stark ausgeprägt. Die Jahrzehnte lange Klima- und Ökopropaganda im Verein mit der historisch bedingten Abwertung all dessen, was mit Nation und Heimat zusammenhängt, hat bewirkt, dass dem landschaftsästhetischen Armageddon, das die Erneuerbare-Energien-Industrie schon angerichtet hat und bis zur Zerstörung der allerletzten verbliebenen Refugien durchziehen will, kaum Widerstand entgegengebracht wird. Wenn, dann geht es um den Schutz der Vogelwelt, der eigenen Immobilie oder um grundlegende Kritik an den technischen und ökonomischen Folgen der Energiewende. In der behördlichen Abwägung der verschiedenen „Schutzgüter“ im immissionsrechtlichen Genehmigungsverfahren steht der Landschaftsschutz meist an letzter Stelle. Landschaftsgenuss wird hierzulande als quantité négligeable betrachtet, als eine, wenn es hoch kommt, persönliche Geschmacksfrage, die sich wichtigeren Erwägungen unterzuordnen hat. Dabei wird im Bundesnaturschutzgesetz ausdrücklich die Verpflichtung formuliert, Natur und Landschaft so zu pflegen und zu schützen, dass „Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert dauerhaft gesichert sind“.
So vollständig wie in Deutschland ist die Umwertung der Werte in anderen Ländern (noch) nicht gelungen. Vor allem in Frankreich speist sich der Widerstand gegen die Invasion der éoliennes, wie Windräder auf Französisch heißen, zu einem erheblichen Teil aus dem patriotisch grundierten Bedürfnis, das nationale Kulturerbe, zu dem auch die Kulturlandschaften zählen, zu pflegen und zu erhalten. Trotzdem ist der Druck auch dort immens, das eigene ästhetische Empfinden den neuen, angeblich unabänderlichen Realitäten anzupassen. Einem Druck, dem offenbar auch der neue italienische Umweltminister Roberto Cingolani bereit ist, nachzugeben. Die vielen Corona- und Klimamilliarden der EU sollen nämlich auch in viele neue Windräder und Solaranlagen gesteckt werden, mit denen womöglich bald die bei deutschen Linken so geschätzten Zweitwohnungsrefugien in der Toskana zugepflastert werden, worüber sich nicht zuletzt die Mafia freuen wird. O-Ton des Herren in einem Interview der Süddeutschen Zeitung (SZ): „Wir müssen unsere Kinder mehr lieben als unsere Vergangenheit.“ Und die SZ-Reporterin kommentiert zustimmend: Cingolani mute dem Land einen „jähen Traditionsbruch“ zu. Im „rückwärtsgewandten Italien“ dominiere seit Jahrzehnten die Gleichsetzung von Umweltschutz und Unantastbarkeit der Natur. Damit werde jetzt Schluss sein müssen.
In Deutschland, dem Mutterland der Energiewende, ist man schon einen Schritt weiter. Hier arbeiten Menschen wie Sören Schöbel seit längerer Zeit aktiv an der Umwertung und Entwertung der Werte. Schöbel ist, wie Nohl, Landschaftsarchitekt und aktiver Professor an der Technischen Universität München. Er ist der Meinung, dass man mit Windrädern Landschaften noch schöner machen kann. Deswegen plädiert er dafür, Windkraftwerke gerade in schöne Landschaften zu stellen. Weil sie sich nicht verstecken ließen, müssten sie nach „landschaftsästhetischen“ Gesichtspunkten in die bestehenden Landschaften eingefügt werden. Man könne sie, wie er meint und landauf-landab propagiert, entlang von markanten Höhenzügen oder anderen „starken“ Landschaftsstrukturen so platzieren, dass sie die Züge dieser Landschaften gewissermaßen überhöhten. Das seien dann zwar neue Landschaften, die seien aber im Zweifelsfall nicht weniger schön als die alten, die ohne Windräder.
Den besonderen Schutz herkömmlich „schöner“ Landschaften lehnt Schöbel ab. Ihm liegen die „Alltagslandschaften“ am Herzen, die mehr oder weniger be- und zersiedelten Speckgürtel rund um die Städte, wo viele Menschen leben. Es sei unethisch, argumentiert er, diese „vorbelasteten“ Landschaften noch weiter zu belasten, etwa durch Windräder und Solarkraftwerke, die man ja für die Energiewende brauche. Deswegen gehörten diese Anlagen dorthin, wo noch nichts steht. Etwa in die letzten, relativ unberührten Mittelgebirgsregionen, vielleicht gar in die Alpen. Eben überall dorthin, wo es (noch) schön ist eben. Die Diskussion über Landschaftsästhetik will Schöbel als „Zukunftsdiskurs“ verstanden wissen, was so viel heißt wie: Der Schutz traditioneller Kultur- und Naturlandschaften ist altes Denken von alten, konservativen Männern. Windkraftanlagen seien als neue Elemente in die Kulturlandschaft zu integrieren und sie müssten nicht als Fremdkörper gesehen werden. Die Jungen hätten das schon längst kapiert, meint er.
Schöbel und seinen zahlreichen Mitstreitern geht es darum, eine neue Ästhetik zu etablieren und die Erinnerung an frühere Begriffe von Schönheit und Harmonie auszulöschen. Das seine Versuche, Windräder nach den Regeln dieser neuen Ästhetik zu platzieren bislang fehlschlugen, weil in einem dicht besiedelten und von mannigfachen, sich überlappenden Interessen zerfurchten Land „großen Würfe“ a la Schöbel meist nicht realisierbar sind, ficht ihn nicht an. Jedenfalls ist es bislang nicht Stand der Planung, Windenergieanlagen so zu positionieren, dass sie natürliche Formen unserer Landschaft nachzeichnen. Die Anlagen werden vielmehr dort errichtet, wo der Wind weht, keine behördlichen Restriktionen bestehen und wo es im Zweifelsfall am wenigsten Widerstand seitens der Bevölkerung gibt. Und so ähnelt Schöbel ein wenig jenen Angehörigen seiner Zunft, die sich am Ende schon mal willig in die Arme von Autokraten werfen, um unbehindert ihre großsprecherischen Entwürfe verwirklichen zu können.
Zu den medialen Propagandisten der schönen, neuen Energielandschaften gehört auch SZ-Architekturkritiker Gerhard Matzig. In seinem Beitrag über ein geplantes Ökohochhaus im Rotterdamer Hafen, eine 174 Meter hohe Kreuzung aus einem Solar- sowie einem neuartigen, Rotor freien Windkraftwerk, die aussieht wie ein Monster-Donut und auch bewohnbar sein soll, sinniert Matzig schwärmerisch über die Notwendigkeit, den apokalyptischen Bildern der „Klimakrise“ nun „Zeichen der Hoffnung und Architekturen des Versprechens“ entgegenzusetzen. Gefragt seien jetzt „nicht nur Ökobilanzen, sondern Ästhetiken“. Architekten, Landschaftsplaner und Designer sollten sich ans Werk machen, denn sie beherrschten die Kunst, „Sonne und Wind zu Symbolen einer wiederum erneuerten Zeit zu machen“. Matzig fordert ein „futuristisches Manifest 2.0“, anknüpfend an Filippo Tommaso Marinettis Gründungsmanifest des Futurismus aus dem Jahre 1909. Immerhin ist dem Schreiber aufgefallen, dass dieses Manifest die deutliche Sprache des Totalitarismus sprach. Aus der Architekturströmung des Futurismus gingen auch Pläne für die ersten „Höhenwindkraftwerke“ hervor, entwickelt von dem badischen Erfinder Hermann Honnef. 1932 pries der „Völkische Beobachter“ Honnefs Vision eines „riesenhaften Projektes, dessen Verwirklichung eine völlige Umwälzung unserer wirtschaftlichen Verhältnisse herbeiführen wird.“ Man sieht: alles schon mal dagewesen.
Dieser Artikel erschien erstmals in “Tichys Einblick”, Ausgabe 09/2021
Lieber Herr Etschelt,
es dürfte langsam jedem Nochdenkenden klar sein, daß die Naturschutzszene komplett von den Zukunftsplanern aus dem WEF übernommen worden ist. Unter dem Begriff “Umweltschutz” (was immer mit Umwelt gemeint ist), sind sie dabei, einen Platzhalter für den aus dem konservativen Wertedenken stammenden Naturschutz zu installieren. Damit sollen a l l e bisherigen Wertvorstellungen über den Haufen geworfen werden. Dazu gehört auch die Ästhetik. Grüngefärbte Apparatschiks montieren uns ein Weltbild zusammen, daß auf ihre Vorstellungen von Macht ausgerichtet ist. Dabei ensteht ein neuer extremistischer Feudalismus zwischen Herrschenden und Beherrschten (Ökofaschismus), der in einem Akt der Zerstörung enden wird, da sich Teile der aufgewachten Massen dies nicht gefallen lassen werden. Deswegen gilt es umso mehr, an den alten Werten festzuhalten. Die Abkehr von der göttlichen Schöpfung, wie sie mit einer Ersatzschöpfung durch geisteskranke Ingenieure aus dem Silikonvalley, aus den National Laboratories und aus chinesischen Allchemistenküchen wie in Wuhan eingeleitet werden, sind das Tor zum Satanismus. Die Bibel hat dazu genug aussagekräftige Stellen.
Dank an Georg Etscheit für das erneute Aufgreifen der Umwertung der Werte im Rahmen der Energiewende. Zu den scharfsinnigen Überlegungen von Prof. Werner Nohl über „identifikatorische Anpassung“ an „fremde, außerästhetische Werte“ und als Entgegnung auf den Generalangriff des Konstruktivismus auf das ästhetische Empfinden der Mehrheit der Menschen, dessen Vertreter im Auftrag der Durchsetzung der Energiewende inzwischen wie Handelsvertreter durch die Lande reisen, muss der Blick auf Grundlagen der Conditio humana erweitert werden.
Der Generalangriff des Konstruktivismus:
Hier zunächst eine illustre Ergänzung zur fragwürdigen Position von Sören Schöbel; die Lehrmeinung des Konstruktivismus auf den Punkt gebracht:
„(…)Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ist Landschaft nicht ein objektiver physischer Raum, sondern wird von unterschiedlichen Menschen sehr unterschiedlich konstruiert.(…)“ (Prof. Dr. Dr. O. Kühne in einem „Interview zu Landschaftsbild und Energiewende“ der Initiative „Bürgerdialog Stromnetz“; ); das ganze Interview gibt es hier als pdf: https://www.buergerdialog-stromnetz.de/wp-content/uploads/2020/05/Interview-mit-Prof.-Olaf-Kuhne-.pdf.
Denn Herren Professoren Schöbel und Kühne entgeht: Es ist beileibe nicht so, dass menschliche Ästhetik sich im luftleeren Raum bewegt, damit einer wie auch immer gelagerten erzieherischen Prägung oder Propaganda völlig ausgeliefert und letztlich beliebig formbar wäre. Georg Etscheit hat mit der Musik einen entscheidenden Hinweis gegeben:
Uns Menschen verbindet ein Erbe aus unserer Stammesgeschichte, aus der gemeinsamen Herkunft im Rahmen unserer Evolution, der Hominisation. Es ist die Ausstattung mit Sinnen, die das von außen Kommende in das Innere übertragen. Voraussetzung für Perzeption, Rezeption und neurophysiologische “Übersetzung” in das (auch intuitive) Empfinden sind bei allen Menschen im Wesentlichen gleich. Diese gemeinsamen Grundlagen finden in Intuition und Emotion, im „Empfinden“ ihren Ausdruck. Deshalb entsteht gerade im Bereich Schönheit Resonanz im kollektiv Geteilten.
Für den Ganzheitlichen Naturschutz hat das starke argumentative Konsequenzen – gerade wenn es um die Entwertung von Landschaften durch Erneuerbare Energien geht. Ich setze ich mich deshalb sowohl in meinem Buch zum Konflikt (Epple 2021: Windkraftindustrie und Naturschutz; https://www.bod.de/buchshop/windkraftindustrie-und-naturschutz-wolfgang-epple-9783753416991 ) als auch in meinem Internetauftritt mit der Schönheit als einem der Schlüsselbegriffe unter diesem Aspekt auseinander (https://wolfgangepplenaturschutzundethik.de/?page_id=181):
Geteiltes Schönheitsempfinden – Erbe der Menschheit:
Für (geteiltes) Schönheitsempfinden entsteht die Frage, inwieweit individuelle Prägung und im Laufe der Sozialisation (etwa im Schulunterricht) erarbeitete bzw. eingeübte Kognition von vorbestehender Intuition überlagert wird. Wenn ja, wie ist Intuition am Werke? Was teilen die Menschen und wie teilen sie es? Es ist die Frage nach aktuell bestehenden Resonanzen.
Ergeben sich vom Umgebungs-Milieu und von Sozialisation unabhängige, „hartnäckige“ Universalien des Empfindens, ist dies ein Indiz für die erwähnten hinter diesen Universalien „wohnenden“ und wirkende stammesgeschichtlich bedingten Wurzeln. Ein Wetterleuchten unserer eigenen Evolution. Bei der erwähnten Musik, zweifellos eine Angelegenheit der Ästhetik, gibt es mit dem Hörapparat ein gemeinsames stammesgeschichtlich entwickeltes Sinnesinstrumentarium, das allen Menschen der Erde eigen ist. Die Resonanz unter 3000 Besuchern eines Klassik-Konzertes oder unter 50.000 Besuchern eines Open-Air-Events ist für jeden, der dabei ist, ein wundervolles urmenschliches Erlebnis und Beleg für die Universalie des Hörens von Harmonik, Rhythmus, für das geteilte (und mindestens teilweise stammesgeschichtlich erworbene) Empfinden einer Schönheit. Nicht umsonst schlägt sich das Hörempfinden nieder im weltweit konvergenten „Hörgenuss“, im weltweiten Teilen des Dur-Quinten-Zirkels, der sich auf dem Griffbrett einer Gitarre oder der Tastatur von Orgel und Klavier „wiederfindet“.
Menschliche Habitatwahl gibt entscheidenden Hinweis:
Warum suchen Menschen weltweit für Erholung und Urlaub Berge, Wälder, Seen oder die Meeresküsten auf? Sollte das Auge nicht vergleichbar dem Gehör stammesgeschichtlich gesichert zum Empfinden von Schönheit und Harmonie beitragen? Im bevorzugten Aufsuchen bestimmter Lebensraumtypen liegt zumindest ein Anhaltspunkt: Für die weltweit stark differenzierte Habitatwahl des Menschen sind nach heutiger Kenntnis wie für andere Spezies auch stammesgeschichtlich erprobte, also im Laufe der Evolution bewährte Anpassungen und Grundlagen wirksam gewesen. Die Frage ist: Sind sie es bis heute? Welche Landschaften mit welcher Ausstattung haben unsere Vorfahren auf ihren Jahrtausende dauernden weiten Wanderungen während der Eroberung der Erde angesprochen und sie zum Versuch einer (in der Zeit nomadischer Lebensweisen zunächst vorübergehenden) Bleibe eingeladen? Sind damit Universalien der Bevorzugung bestimmter „Landschaftsbilder“ nicht Hinweise auf eine evolutionär stabile Strategie (ESS), gerade auch bei der Bevorzugung bestimmter Lebensraumtypen durch den Menschen ? Was hat zu welchen Siedlungsmustern geführt?
Was hat sich in der Landschaftsausstattung bewährt? Was beschützt und ernährt den Menschen? Spielt (auch) unser intuitives Schönheits-Empfinden mit hinein? Oder ist es umgekehrt die als Lebensraum bewährte Landschaft, die unser Schönheitsempfinden möglicherweise über Jahrhunderttausende beeinflusst und also geprägt hat? Warum sind halboffene, baumreiche und/oder teilweise bewaldete Landschaften, bereichert mit Wasser in Form von Quellen, Flüssen oder Seen, warum sind flache Meeresküsten oder höhlenreiche Mittelgebirgslandschaften mit möglichst vielseitigen Ausstattungsmerkmalen bis heute für uns attraktiv – und zwar nicht nur für zwei Wochen Urlaub im Jahr?
Schönheit und Attraktivität einer naturnahen, reich ausgestatteten Landschaft – alles nur konstruiert? Alles nur „Romantisieren“? Ist das plausibel? Den Windkraft-Theoretikern geben die vielen Menschen mit ihrem profundem Widerstand die Antwort. Die Herabwürdigung der Gegenwehr gegen die Windkraftindustrialisierung des Landes als „NimBY“ („Never in my Backyard“) ist genauso wie das Herbeischreiben eines Konfliktes zwischen den Generationen durchsichtige Propaganda.
Die Umwandlung von Kulturlandschaften in Energielandschaften wächst angesichts der angestrebten Ver-X-fachung des Zubaus Erneuerbarer Energien zum finalen Konflikt. Auch das Kalkül der Energiewende-Protagonisten mit „shifting baselines“ wird angesichts der Hartnäckigkeit der im tiefsten Menschsein verankerten Ästhetik allenfalls bedingt aufgehen. Es gibt schon jetzt erkennbare Grenzen der Belastbarkeit.