Zu klein, zu zerstückelt, zu weit entfernt – Warum die Zerschneidung unserer Landschaften zur stillen Katastrophe wird

Straßen, Siedlungen, Industriegebiete, Windparks – sie alle greifen tief in die Landschaft ein. Von ehemals großen Lebensräumen bleiben nur noch isolierte Inseln übrig. Fachleute sprechen von Fragmentierung – einer der gravierendsten, aber oft unterschätzten Bedrohungen für die biologische Vielfalt – in Deutschland und auch weltweit.

Zerschnittene Lebensräume, verlorene Verbindungen

Wenn Lebensräume zerschnitten werden, verlieren Tiere nicht nur Platz, sondern auch den Zugang zu Nahrung, Wasser und sicheren Brutgebieten. Manche Folgen treten sofort ein: Rehe, Igel oder Amphibien werden beim Überqueren von Straßen überfahren, Vögel und Fledermäuse kollidieren mit Windradrotoren. Andere Effekte wirken schleichend: Populationen verhungern oder verdursten, weil sie von ihren Ressourcen abgeschnitten sind.

Besonders wandernde Arten trifft es hart. Sie benötigen Korridore, die Lebensräume miteinander verbinden. Werden diese Wege unterbrochen, können Rastplätze, Nahrungsquellen und sichere Brutorte nicht mehr erreicht werden.

Arten brauchen Mindestflächen – und Vernetzung

„Seit über einem halben Jahrhundert werden unsere Landschaften immer stärker zerstückelt“, warnt der Zoologe Prof. Dr. Josef H. Reichholf. „Die Arten brauchen Mindestflächen zusammenhängender Größen, um dauerhaft überleben zu können: in Mindestpopulationen, die nötig sind, um eine erfolgreiche Fortpflanzung sicherzustellen. Je größer die Tiere, desto mehr Raum brauchen ihre Mindestpopulationen.“

Reichholf nennt Beispiele: „Bei unseren Singvögeln liegt die kritische Flächengröße bei gut einem Quadratkilometer (100 Hektar). Kleinere Flächen verlieren rasch Arten – umso schneller, je kleiner sie werden und je weiter sie voneinander entfernt sind. Wer zu Fuß unterwegs ist, braucht verbindende Korridore und sichere Übergänge. Vernetzung also, die die Zerstückelung abmildert.“

Selbst bei Landschnecken, so Reichholf, nehme der Artenreichtum drastisch ab, wenn Biotopflächen unter einen Quadratkilometer sinken. Für große Arten wie Adler, Kraniche, Luchse oder Biber reichen geeignete Lebensräume nur dann aus, wenn sie miteinander verbunden sind.

Wenn Vielfalt an Grenzen stößt

Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen diese Zusammenhänge. „Viele kleine Lebensräume in fragmentierten Landschaften beherbergen insgesamt weniger Arten als größere, zusammenhängende Landschaften“, erläutert Prof. Jonathan Chase, Forschungsgruppenleiter am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv). „Wir haben klare Belege aus vielen verschiedenen bewaldeten Landschaften, dass Fragmentierung tatsächlich schädlich für die Biodiversität ist – von kleineren bis größeren Maßstäben.“

Je stärker eine Landschaft zerschnitten ist, desto stärker leidet ihre biologische Vielfalt. Auch genetisch: Kleine, isolierte Tierpopulationen sind auf sich gestellt, die genetische Vielfalt sinkt, Inzucht nimmt zu – und mit ihr die Anfälligkeit gegenüber Krankheiten oder Umweltveränderungen.

Das Bild zeigt eine zerschnittene Landschaft mit Windrädern und einzelnen kleinen Waldparzellen.
Bild (Canva): Zerschnittene Heimat – Wie Landschaftsfragmentierung die biologische Vielfalt bedroht.
Deutschland: Eine zerschnittene Landschaft

Ein Blick auf die Karte zeigt: In über der Hälfte der deutschen Landkreise existieren keine unzerschnittenen Freiräume von mehr als 100 Quadratkilometern mehr. Nur in wenigen Regionen – etwa im Bayerischen Wald, im Schwarzwald oder in den Alpen – finden sich noch großflächige Rückzugsräume. Auch dünn besiedelte Regionen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder im nördlichen Sachsen-Anhalt heben sich positiv ab. Doch selbst dort wächst der Druck. Neue Straßen, Gewerbeflächen und Windparks reißen immer mehr Lücken in ehemals geschlossene Landschaften – mit fatalen Folgen für sensible Arten. Der Schwarzstorch etwa braucht weiträumige, ungestörte Wälder in Verbindung mit naturnahen Gewässern. Werden diese Lebensräume zerschnitten, verschwindet auch er still aus der Landschaft.

Was hilft: Raum lassen und verbinden

Die Lösung liegt auf der Hand – und doch wird sie selten umgesetzt: Intakte, große Lebensräume müssen geschützt und zerschnittene Lebensräume wieder vernetzt werden. Grünbrücken, Heckenstreifen, Gewässerrandzonen oder extensiv genutzte Offenflächen können Trittsteine sein, die isolierte Populationen verbinden.

„Fragmentierung und Isolation von Naturflächen sind nicht nur unser Problem, sondern weltweit zentral für den Naturschutz“, mahnt Prof. Reichholf. Ohne großräumiges Denken, Mindestgrößen und Vernetzung wird es kaum gelingen, die biologische Vielfalt dauerhaft zu sichern.

Fazit

Zerstückelte Landschaften sind stille Killer der Artenvielfalt. Je kleiner und entfernter Lebensräume werden, desto größer ist der Verlust – nicht nur in tropischen Regenwäldern, sondern mitten in Deutschland. Der Schutz großer, zusammenhängender und verbundener Lebensräume ist daher eine der wichtigsten Aufgaben unserer Zeit.

2 Gedanken zu „Zu klein, zu zerstückelt, zu weit entfernt – Warum die Zerschneidung unserer Landschaften zur stillen Katastrophe wird“

  1. Ich möchte noch einen Aspekt hinzufügen:
    Auch Menschen brauchen Freiräume, Sicht in weite, vielfältige, naturnahe Landschaften. Wir werden zunehmend physisch wie mental urbanisiert, verlieren Rückzugsräume. Zum Ideal wird der konsumierende Bürger einer roaring City und Cyberwelt – solange bis er revoltiert, sich dann Allem verweigert.

  2. vor den toren berlins die toscana deutschlands

    all das sichtbar in der uckermark, tausende rot blinkende pillone, ständiges pulsierendes brummen, erkrankungen, nun mikroplastik überall.
    drastische abnahme von schmetterlingen – vögeln- insekten – fledermäusen, einst heimat der seltenen rotbauch unke, die bodenflora verkümmert, durch austrocknung von ackerflächen, unfruchtbare böden das ergebnis, was für ein wahnsinn.

    alptraumhaft !

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